volodymyr hryshchenko
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Eigentlich ein Etiketten-Schwindel: Unter der Bezeichnung «Amaryllis» bringen sie als Topfpflanzen oder Schnittblumen Farbe in die Vorweihnachtszeit – genau genommen aber handelt es sich bei den bunten Blüten in aller Regel um «Rittersterne». Allerdings hatte erst 1987 der Internationale Botanische Kongress endgültig entschieden, «Hippeastrum» als eigenständige Gattung innerhalb der Familie der Amaryllisgewächse – zu der auch Lauch und Zwiebel gehören – zu führen.  

John Micelli  

Das Urteil der Nachwelt über Simón de Tovar muss zwiespältig ausfallen: Der Arzt aus Sevilla legte Ende des 16. Jahrhunderts einen Garten an, der zu einer der bedeutendsten Sammlungen pharmazeutisch nutzbarer Pflanzen Spaniens wurde. Weit über die Landesgrenzen hinaus pflegte de Tovar Kontakte zu den angesehensten Wissenschaftlern seiner Zeit. Unterschiedlich aber wird heute beurteilt, ob seine botanische und medizinische Forschung Leidenschaft oder Nebenerwerb war: Geld verdiente der Sevillaner nämlich mit dem Sklavenhandel. Aus Angola, Guinea und von den Kapverdischen Inseln verkaufte er die unglückseligen Opfer seines Geschäftszweigs in die neuen Kolonien jenseits des Atlantiks. Zurück nach Spanien kamen die Schiffe schwer beladen mit allerlei exotischen Gewächsen von den Küsten Afrikas und aus Südamerika. 1593 waren dies Pflanzenzwiebeln aus den peruanischen Anden, die de Tovar in seinem Garten kultivierte. Eine genaue Beschreibung, Zeichnungen und getrocknete Blüten schickte er der kurz zuvor gegründeten Universität Leiden, um sie von Botaniker Charles de l’Écluse eingehender bestimmen zu lassen. In den Niederlanden aber war die Amaryllis damals bereits bekannt: Pflanzenhändler Emanuel Sweerts behauptete, die exotische Schönheit in Ostindien aufgestöbert zu haben. Amaryllis allerdings hiess die Blume erst 150 Jahre später. Der schwedische Naturforscher Carl von Linné – Begründer der modernen biologischen Nomenklatur – fasste unter dem Gattungsnamen neun Arten aus Südamerika und Südafrika zusammen, die an ihren bevorzugten subtropischen Standorten ähnliche Eigenschaften entwickelt hatten. Molekulargenetische Untersuchungen schafften im 20. Jahrhundert schliesslich Klarheit: Zusammen mit Narzissen und Schneeglöckchen, mit Schnitt-, Knob- und Bärlauch bilden Amaryllis und Hippeastrum die Familie der Amaryllidaceae. In der Kapregion an der südlichsten Spitze Afrikas und  in tief eingeschnittenen Andentälern gewöhnten sich echte Amaryllis und Rittersterne an warme Sommer, kühle Winter und ausgeprägte Trockenzeiten. Den Jahresrhythmus der Südhalbkugel haben die beiden Geschwister auch in der Zucht in Europa beibehalten und liefern deshalb pünktlich zu Weihnachten prächtige Blüten in verschiedensten Farben.  

Kraft in der Zwiebel 
Aber auch wenn sich für die moderne Herkunftsforschung die Aufzeichnungen de Tovars als nützlicher erwiesen als Sweerts’ Handelskatalog, das «Florilegium amplissimum et selectissimum» von 1612, stammt heute ein Grossteil der Rittersterne – oder eben «Amaryllis» – im Detailhandel aus den Niederlanden. Im Laufe der Jahrhunderte wurde an der Nordseeküste ein enormes Know-how erarbeitet im Umgang mit Blumenzwiebeln, allen voran natürlich Tulpen. Zwiebeln sind ein sogenanntes Speicherorgan: In den Knollen horten die Pflanzen in guten Zeiten Nährstoffe für schwierige Phasen wie Winter oder Trockenzeit. Amaryllis und Rittersterne beginnen ihren Zyklus mit der Wachstumsphase im Frühling und im Frühsommer, während der die Pflanze Tagestemperaturen bis 26 Grad verlangt und ausreichend bewässert werden will. Im August kommt die Ruhezeit: Bis Ende Oktober mag es Hippeastrum nun schattig und kühl – am liebsten konstant um die 16 Grad Celsius. Gut ausgeruht sind die Pflanzen dann ab November bereit zur Blüte. Dafür brauchen sie ausreichend Licht und gemässigte Wärme nicht über 20 Grad, Hitze verkürzt die Blütezeit.  

Ihr extravaganter Lebensstil macht die Rittersterne zu Klimasündern: Von den knapp vier Kilogramm CO2-Äquivalenten pro Stück, die sie bis zur Ankunft im Blumengeschäft verursacht haben – nur Cyklamen sind noch anspruchsvoller –, gehen über 80 Prozent zulasten der Gewächshäuser der teilweise seit über 100 Jahren auf Rittersterne spezialisierten niederländischen Unternehmen. Die müssen im Frühling geheizt und im Sommer gekühlt werden. Die Ökobilanz verbessert sich allerdings, wenn man den Aufwand in Verhältnis zur Blühdauer – durchschnittlich 35 Tage im Topf, bis zu zwei Wochen als Schnittblume – und zum Verkaufspreis setzt: Als relativ teure Blumen inszenieren sich Rittersterne gerne als wirkungsvolle Einzelkämpfer in weihnachtlichen Gestecken, im Gegensatz etwa zu Rosen – auch sie massive CO2-Schleudern –, die sich im grossen Verbund am besten gefallen. Und wer sein Gewissen noch weiter entlasten möchte, lässt Hippeastrum zu Jahresbeginn nicht fallen: Mit der richtigen Pflege nämlich kann eine Zwiebel viele Jahre Blumen bilden. Entfernen Sie im Januar oder Februar alte Wurzeln sowie abgestorbene Blätter und topfen Sie die Pflanze um – am besten bis zur dicksten Stelle der Zwiebel in ein Gemisch aus Blumenerde und Kakteensubstrat. Während der Wachstumsphase sollte der Ritterstern über den Untersetzer regelmässig mit Wasser versorgt und etwa alle zwei bis drei Wochen gedüngt werden, ab Ende Mai kann er ins Freie. Anfang August stellen Sie das Giessen ein und holen die Zwiebel aus der Erde. Lagern Sie sie kühl und dunkel. Kommt sie dann im November zurück ans Licht, wird sie austreiben – sogar ohne eingepflanzt zu werden. Die Pflanze wird Ihnen allerdings länger Freude bereiten, wenn sie die Blüte nicht nur aus der Notreserve in der Zwiebel bestreiten muss.  

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