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Seniorinnen und Senioren in der Schweiz sind im internationalen Vergleich überdurchschnittlich zufrieden mit dem Gesundheitswesen. Daran hat auch die Pandemie nichts geändert, wie die Resultate der dritten Befragung seit 2014 im Rahmen des International Health Policy Survey zeigen. 

von John Micelli

Trotz chronischer Erkrankungen, trotz Einschränkungen im Alltag: Acht von zehn Personen über 65 in der Schweiz empfinden ihren eigenen Gesundheitszustand zumindest als «gut», ein Viertel sogar als «ausgezeichnet». Und das über alle Kategorien hinweg – sowohl Frauen als auch Männer, in der Deutschschweiz, der Romandie und dem Tessin, in der Stadt und auf dem Land. Besser scheint es nur den Neuseeländerinnen und Neuseeländern zu gehen: Im Inselstaat im Südpazifik fühlen sich fast 90 Prozent der Seniorinnen und Senioren vital und gesund, wie die Befragung des Commonwealth Fund (CWF) ergab. Die Schweiz nimmt seit 2010 an den jährlich durchgeführten internationalen gesundheitspolitischen Befragungen der US-amerikanischen Stiftung teil, in deren Rahmen zwischen März und Juni 2021 nicht nur die Wohnbevölkerungen der Schweiz und Neuseelands, sondern auch diejenigen Australiens, Deutschlands, Frankreichs, Grossbritanniens, Kanadas, der Niederlande, Norwegens, Schwedens und der USA um Auskunft gebeten wurden. 

In unserem Land koordiniert hat das Projekt das Bundesamt für Gesundheit BAG, die Ergebnisse anschliessend ausgewertet das Schweizerische Gesundheitsobservatorium Obsan, ein von Bund und Kantonen gemeinsam getragenes Kompetenz- und Informationszentrum. Die Resultate lassen sich also einerseits international gegenüberstellen, ermöglichen andererseits aber auch zeitliche Vergleiche: Nach 2014 und 2017 wurde die Wohnbevölkerung über 65 in der Schweiz zum dritten Mal nach einer Selbsteinschätzung ihrer Gesundheit und der Erfahrung mit dem hiesigen Gesundheitssystem befragt.  

Krankheiten schränken ein
Unvermeidlich ist die Zunahme von chronischen Gesundheitsproblemen mit steigendem Alter und damit eine sinkende Qualität des selbst wahrgenommenen Gesundheitszustandes. Statistisch bedeutsam allerdings hebt sich in der Schweiz erst die Gruppe der 80-jährigen und älteren Personen ab, die ihre Gesundheit zu knapp 75 Prozent als gut oder ausgezeichnet empfinden. Von Einschränkungen in der Gestaltung ihres Alltags – also zum Beispiel beim Aufstehen, bei der Körperpflege oder beim Anziehen, bei der Zubereitung einer Mahlzeit – berichtet fast ein Viertel der Schweizer Wohnbevölkerung über 65. Ein Wert, der nur von Deutschland übertroffen wird und der in Neuseeland am tiefsten liegt: Zehn Prozent der Insulanerinnen und Insulaner fühlen sich in den Aktivitäten des täglichen Lebens eingeschränkt. In Bezug auf chronische Erkrankungen liegt die Schweiz im Mittelfeld: Fast die Hälfte krankt an zwei oder mehr chronischen Leiden – mehr als im Norden Europas, aber deutlich weniger als in den USA, wo die Multimorbidität über zwei Drittel der Seniorinnen und Senioren betrifft. 

Am häufigsten sind es Bluthochdruck, entzündliche Gelenkerkrankungen und Herzkrankheiten, die hierzulande Probleme bereiten. Diese Gebrechen aber sind ungleich verteilt: Männer sind deutlich häufiger von Krankheiten des Herzens und der Gefässe betroffen, Frauen leiden eher an Arthritis und fast doppelt so oft an psychischen Krankheiten wie Depressionen oder Angstzuständen. Tessinerinnen und Tessiner entwickeln im Alter deutlich häufiger Diabetes als Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer, Romands haben dagegen statistisch signifikant mehr mit psychischen Erkrankungen zu kämpfen.   

Fortschritte
Trotzdem sind die Betagten in der Schweiz vergleichsweise zuversichtlich, die eigene chronische Krankheit bewältigen zu können: Fast 95 Prozent betrachten ihre Situation als unter Kontrolle. Im Gegensatz zu Schweden, wo die Zuversicht seit der letzten Befragung eingebrochen ist, blieb dieser Wert hierzulande auch während der Pandemie auf hohem Niveau stabil. Nicht verbessern konnte sich die Schweiz im internationalen Ranking in Bezug auf das Vorhandensein eines Behandlungsplanes bei chronischer Erkrankung – obwohl unser Land bei diesem Punkt seit 2017 massive Fortschritte gemacht hat: Heute verfügen fast 20 Prozent mehr Seniorinnen und Senioren in der Schweiz über ein solches Instrument für die Umsetzung der Behandlungsziele im Alltag als vor vier Jahren. Mit 64 Prozent aber hinkt unser Land immer noch den englischsprachigen Staaten hinterher, wo teilweise über vier Fünftel der chronisch kranken Betagten über eine solche Unterstützung verfügen. Ebenfalls vier Fünftel der Wohnbevölkerung über 65 haben in Deutschland über ihre Behandlungswünsche am Lebensende mit einer Fachperson oder mit Angehörigen gesprochen oder diese schriftlich festgehalten.

In der Schweiz sind es knapp zwei Drittel – aber auch hier wieder deutlich mehr als bei den vorangegangenen Befragungen: Besassen 2014 noch 25 Prozent eine entsprechende Patientenverfügung, sind es 2021 bereits fast 45 Prozent. Fast die Hälfte hat eine entscheidungsbefugte Person bestimmt für den Fall, aufgrund von Krankheit oder Verletzung nicht mehr für sich selbst bestimmen zu können. An die 15 Prozent der Wohnbevölkerung 65+ in der Schweiz haben sich einer Organisation für ein selbstbestimmtes Lebensende – wie beispielsweise Exit – angeschlossen oder beabsichtigen, es zukünftig zu tun. Soziale Isolation allerdings stellt nur für ein knappes Fünftel der Seniorinnen und Senioren in der Schweiz eine Belastung dar, und diese Zahl hat sich seit 2017 erstaunlicherweise nur unwesentlich – um drei Prozent – erhöht. Ganz im Gegensatz zu den anderen Teilnehmerländern der aktuellen Befragung, die – vermutlich durch die COVID-19-Pandemie und die damit verbundenen Schutzmassnahmen befeuert – einen Anstieg von bis zu 20 Prozent der Klagen über Einsamkeit der Wohnbevölkerung über 65 verzeichnen mussten.   

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