Anne Challandes
  • Facebook
  • Twitter

Mein achtsamer Blick:

Claudio Del Principe, Autor und Referent

Kochen wie unsere Grossmütter 

Essen ist so vieles: Kultur, Politik, Wirtschaft, Identität und immer mehr auch Ideologie. Es ist auffällig, wie besonders junge Menschen vom Essen erwarten, dass es gesund sein muss. Sie teilen Zutaten radikal in gut und böse und verlieren zusehends die Orientierung. 

In meinem News-Feed sehe ich vermehrt Menschen, die sich obsessiv mit vermeintlich gesundem Essen beschäftigen. Sie ersetzen alles, was im Verdacht steht, ungesund zu sein: Fleisch, Weizen, Milchprodukte oder Eier. Ohne die Qualität zu hinterfragen. Ist es saisonal? Regional? Handwerklich und nachhaltig hergestellt? Biologisch? Artgerecht? Dafür konsumieren sie Nahrungsergänzungsmittel und Produkte, die industriell statt selbst zubereitet wurden. 

Da teilt eine junge Mutter und Ernährungsberaterin(!) in einem Beitrag ein veganes Rührei, das sie für ihre dreijährige Tochter zubereitet hat. Es besteht aus gelb gefärbtem Tofu. Damit das falsche Rührei irgendwie nach Ei schmeckt, verwendet sie geschwefeltes Salz (das nach faulen Eiern riecht). Sie lügt ihr Kind an und frohlockt auch noch. Und das soll gesünder sein als ein Bio-Ei von artgerecht gehaltenen Hennen einer lokalen Bäuerin? Obendrauf promotet sie via Partner-Link Vitaminpräparate und Proteinpulver. 

Eine andere Ernährungsberaterin(!) ist mega happy, dass sie sich jetzt endlich gesund ernähren kann. Denn sie hat jetzt die Gewissheit, was ihr schadet: Gluten! Laktose! Kohlenhydrate! Woher sie das weiss? Sie hat sich testen lassen. Aber nicht bei ihrer Hausärztin. Nein, mit einem Set dieser Firma aus den USA. Man muss sich nur in den Finger piksen und die Blutprobe nach Amerika schicken. Nach ein paar Wochen bekommt man die (bestimmt höchst verlässlichen) Werte gemailt. Sie motiviert ihre Follower, das auch zu tun, natürlich über einen Link mit Rabattcode. Und diese bedanken sich auch noch für den tollen Tipp in den Kommentaren.  

Da kann ich an meinen Kursen und in meinen Kochbüchern noch lange erzählen, kocht wieder wie eure Grossmütter. Mit Zutaten ohne Zutatenliste! Das ist nicht nur gesund, das rettet auch unsere Umwelt. Unsere Grossmütter kochten saisonal. Sie kauften regional ein und unterstützten damit lokale Produzenten. Sie wussten, wie man aus einer Zutat zehn Gerichte kocht und wie man Lebensmittel haltbar macht. Sie kannten kein Food Waste und assen viel weniger Fleisch. Die Welt, sie wäre schlagartig eine bessere und gesündere, wenn das alle beherzigen würden. Aber wer von den jungen Ideologen kann und will schon so kochen wie eine Grossmutter? 

Claudio Del Principe ist Autor von bisher neun mehrfach ausgezeichneten Kochbüchern. Er ist gefragter Referent und leitet Workshops für handgemachte Pasta und Sauerteig-Brot.  

Share This