volodymyr hryshchenko
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Der Genfer SP-Ständerat Carlo Sommaruga ist ein gutes Beispiel für diese heikle Frage. Seit 2003 im Nationalrat und seit 2019 im Ständerat, hat der Sozialdemokrat und Sohn des ehemaligen IKRK-Präsidenten aus seiner israelkritischen Haltung nie ein Geheimnis gemacht. Sein Herz schlägt für Palästina. In der Hamas sieht er nach dem brutalen Überfall auf Israel vom 7. Oktober keine Terrororganisation. Dann wurde er aber plötzlich ganz still in dieser Angelegenheit. 

Anton Ladner

 

«Carlo Sommaruga fällt durch ohrenbetäubendes Schweigen auf», sagte dazu Johanne Gurfinkiel, Generalsekretär der Interkommunalen Koordinationsstelle gegen Antisemitismus und Diffamierung. Carlo Sommaruga hat offensichtlich seine Meinung nicht geändert. Israel ist für ihn eine Kolonial- und Besatzungsmacht, ein Apartheidsystem mit einer unterdrückten palästinensischen Bevölkerung. Doch diese Meinung hielt er plötzlich zurück – aus wahltaktischen Gründen. Denn am 12. November fand in Genf der zweite Wahlgang für den Ständerat statt.

Die Frage, ob ein Politiker zu einem bestimmten Thema einfach schweigen darf, hängt von der Art des Problems und den Erwartungen der Öffentlichkeit ab. Gewiss ist aber, dass Politiker die Verantwortung haben, die Interessen ihrer Wähler zu vertreten und politische Entscheidungen zu beeinflussen. Das erfordert eine klare Positionierung zu zentralen Themen. Wenn ein Politiker sich zu einem zentralen Problem nicht äussern will, ist das Unsicherheit oder eben Wahltaktik. Dann einfach zu schweigen und den Medien eine Stellungnahme zu verweigern – notabene in einem Wahlkampf – erscheint ziemlich billig.

Im privaten Bereich ist Stille hingegen nicht unbedingt etwas Negatives. Sie kann aber auch unbeabsichtigt als eine kraftvolle Form der Kommunikation wahrgenommen werden. Zum Beispiel als Feigheit, als Opportunismus, als Egoismus, sich alle Türen offenhalten zu wollen. Es

ist eben so: Wer keine Position bezieht, offenbart Unsicherheit, taktisches Überlegen, Konfliktscheue, Mangel an Interesse oder strategisches Abwarten. Damit kann man im privaten Umfeld kurzfristig gut über die Runden kommen. Langfristig hat das Nicht-Beziehen einer klaren Position eben auch einen klaren Preis. Sommaruga hat ihn jetzt bezahlen müssen. Er wurde am vergangenen Wochenende abgewählt.

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