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In der Postgasse hat die Universität Bern zusammen mit weiteren öffentlichen und privaten Partnern sowie mit Anwohnerinnen und Anwohnern ein Experiment gestartet: Als Antwort auf Klimawandel und Biodiversitätsverlust soll die «grünste Gasse» der Schweiz entstehen.

John Micelli 

Es handelt sich um einen geschichtsträchtigen Ort: Die Postgasse in der Altstadt hiess nicht immer so – aber es gibt sie seit der Gründung Berns im späten 12. Jahrhundert. 1675 wurde sie zur Hauptverkehrsstrasse, als der Patrizier Beat Fischer im Haus Nummer 64/66 das Hauptbüro seines neu gegründeten Postunternehmens – das erste seiner Art in der Stadtrepublik – einrichtete. Und nun hat mitten in der UNESCO-Welterbestätte auf der westlichen Fortsetzung der Rathausgasse die Zukunft begonnen: Das Institut für Pflanzenwissenschaften der Universität Bern hat ein Experiment angestossen, wird dabei von einer Baumschule, einem Bio-Samenhändler und weiteren Unternehmen aus der Gartenbaubranche unterstützt – Hauptakteure aber sollen die Menschen sein, die an der Poststrasse wohnen. Sie erhalten die einheimischen und standortgerechten Sträucher und Bäume, Gemüse- und Kräutersetzlinge aus biologischer Produktion von den Projektpartnern zur Verfügung gestellt, ebenso nachhaltig produzierte Blumenerde und Pflanzgefässe mit automatischen Bewässerungssystemen, dürfen damit nach Lust und Laune Fenstersimse und Aussenflächen gestalten und begrünen – sollen sich aber auch langfristig um die Pflege der Pflanzen kümmern.

Theorie und Praxis

Gut die Hälfte der gesamten Weltbevölkerung lebe in urbanen Räumen, schreibt die Universität Bern in der Medienmitteilung zum Projektstart – in der Schweiz sind es gemäss Bundesamt für Statistik sogar drei Viertel. Daraus würden sich zahlreiche Herausforderungen ergeben: Städtische Gebiete würden sich mit dem Klimawandel stärker aufheizen als das Umland, die Kernstädte kaum Lebensraum für Pflanzen und Tiere bieten. Aber auch die Lebensqualität der Menschen werde in Mitleidenschaft gezogen. Bauliche Anpassungen aber sind gerade in zentralen Lagen mit geschütztem Inventar schwierig. Die Initiative von Matthias Erb, Professor für Biotische Interaktionen am Institut, hat deshalb zum Ziel, Lösungen zu erarbeiten, die rasch und kostengünstig realisiert werden können, ohne bestehende Strukturen zu zerstören. Die Begrünung der Postgasse wird deshalb wissenschaftlich begleitet. Temperatursensoren und Wärmebildkameras dokumentieren für das universitäre Geografische Institut die mikroklimatischen Auswirkungen, das Institut für Pflanzenwissenschaften verfolgt den Effekt auf die Biodiversität. Als «öffentliche Fallstudie» wird die «Grünste Gasse der Schweiz» aber auch weiteren Interessenten als Forschungs- und Lehrumgebung zur Verfügung stehen. «Als besonders wertvoll erachten wir alle den Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis», erklärt Erb: «Wir sind gespannt auf unser Pilotprojekt, mit dem wir Forschung für aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen wie den Klimawandel betreiben und gleichzeitig die davon betroffene Stadtbevölkerung in den Prozess miteinbeziehen.»

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