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Rindfleisch als Klimakiller – das ist bekannt. Ein Kilo Rindfleisch belastet die Umwelt etwa so stark wie 200 Kilometer Autofahrt. Alternativen müssen deshalb dringend her. Vor einigen Jahren wurden in Europa die essbaren Insekten auf den Markt gebracht. Der erwartete Boom blieb aus. Wie geht es weiter?

von Flavia Müller

Fleisch ist heute ein Streitthema. Während Veganer und Vegetarier vor allem aus der Liebe zum Tier auf tierische Produkte verzichten, ist für viele auch die Klimabilanz des Fleisches ein ausschlaggebender Grund. Fakt ist, Fleisch belastet die Umwelt. Und der Fleischkonsum hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Das birgt mehrere Probleme. Entwickelt sich der Fleischkonsum weltweit so weiter wie zurzeit, wird unsere Erde den Bedarf nicht mehr abdecken können. Besonders das Rindfleisch verbraucht unsere Ressourcen in grossem Masse, denn um ein Kilogramm zu produzieren, braucht es bis zu neun Kilogramm Getreide, 15 400 Liter Wasser und eine Nutzfläche von bis zu 49 Quadratmetern – zusätzlich entstehen dabei rund 22 Kilogramm Treibhausgase.

Fleisch ist heute so zugänglich – und billig – wie nie zuvor. Während man sich früher einmal die Woche Fleisch für den Sonntagsbraten leistete, liegen heute mehrmals täglich Fleischprodukte auf dem Teller. Alternativen müssen her – doch sind diese auch wirklich besser?

Wer gänzlich auf Fleisch verzichten will, weicht auf pflanzliches Protein aus. Doch auch diese Produkte, meist aus Soja oder Hülsenfrüchte, brauchen Platz im Anbau – und dann sind da noch die vielen Lebensmittelallergien. Trotzdem finden diese Fleischersatzprodukte einen immer grösseren Absatz. Das Sortiment in den Shops wächst und wächst. Man könnte durchaus von einem Boom sprechen. Mit einem Boom rechnete man auch bei der Einführung von essbaren Insekten in den europäischen Markt vor einigen Jahren. Weltweit essen etwa zwei Milliarden Menschen Insekten – vor allem im asiatischen Raum sind Insekten normal auf der Speisekarte. Hierzulande ist man zwar neugierig auf diese Speisen, aber auch skeptisch. Während Insekten für Vegetarier und Veganer keine Alternative sind, haben sie als Ersatz für «normales» Fleisch grosses Potenzial. Denn: Insekten brauchen kaum Platz, sind anspruchslos in der Haltung, vermehren sich explosionsartig, brauchen wenig Wasser und erzeugen keine Treibhausgasemissionen. Im Vergleich zum Rindfleisch brauchen Buffalo-Würmer nur einen Liter Wasser und zwei Kilogramm Futter für ein Kilogramm essbares Gewicht – und erzeugen dabei nur ein Gramm der schädlichen Treibhausgase.

Konkurrenzlos
Zusätzlich steht das Futter für die Insekten nicht in Konkurrenz zu dem, was wir Menschen essen. Denn was in der Lebensmittelproduktion übrigbleibt, wie zum Beispiel Weizenkleie oder Ausschussgemüse und -obst, kann an die Insekten verfüttert werden. Die Futtermittel müssen dabei frei von Pestiziden und Giftstoffen sein. Gemäss Timothée Olivier von Swiss Insects sind «Insekten ein sicheres, unbedenkliches und nahrhaftes Lebensmittel». Sie sind zudem reich an Proteinen, Vitaminen (inklusive B12), Ballaststoffen, Mineralien und Fettsäuren wie Omega 3 und 6. Trotz all dieser Vorteile auf dem Papier trauen sich viele noch nicht an diese Art der Ernährung heran. Hierzulande erhält man vor allem Produkte wie Burger aus Insektenmehl. Aus den Regalen der lokalen Supermärkte sind diese aber fast verschwunden.

Kevin Blättler, Mediensprecher von Coop, gibt sich dazu sachlich. «Die Nachfrage nach unseren Insekten-Produkten ist stabil. Es handelt sich aber um Nischenprodukte, die sich an eine noch relativ kleine Konsumentengruppe richten. Einen Boom erwarten wir zurzeit nicht. Produkte als Alternativen zum tierischen Protein erfreuen sich bei unseren Kundinnen und Kunden einer hohen Beliebtheit und werden verstärkt nachgefragt.»

Roger Greiner, der das Restaurant Bug a Thai in Basel betreut, berichtet Ähnliches: «Niemand hier ist mit Insekten aufgewachsen. Somit ist es nicht Teil der Esskultur. Bohnen kennen wir, Linsen auch. Nun werden diese einfach in ein Patty verpackt. Das ist einfach nachvollziehbar. Ein Insekt ist nicht einfach ein weiteres Säugetier, welches auf den Tisch kommt. Es ist ein langer Prozess, man muss über seinen Schatten springen, und das geht nur, wenn man es unkompliziert einfach mal probieren darf. Im ersten Jahr ging die Absatzkurve nach oben. Im zweiten Jahr hat es sich bereits eingependelt, und nun in der Pandemie ist die Kurve eingebrochen. Auch die Medien berichten nicht mehr viel darüber.» Auf der Speisekarte sei das Angebot an Insekten auch etwas weniger geworden. «Aktuell bieten wir noch das Thai-Insekten-Curry an. Hier bekommt man dann separat die gegrillten Mehlwürmer (mit Salz gewürzt), Grillen (mit Chili gewürzt) und Heuschrecken (in Honig), damit diese auch schön knusprig bleiben.» Wie Greiner berichtet, stehe man praktisch wieder da, wo man zu Beginn gewesen sei. Fast alle Bemühungen seien durch die Pandemie verloren gegangen.

Timothée Olivier von Swiss Insects ist aber zuversichtlich. «Wir sehen einen sehr grossen Zuwachs in der Gastronomie, wenn diese die Verluste durch die Pandemie vollständig absorbiert hat. Der Einzelhandel wird nach dem Erfolg der Gastronomie folgen. Bemerkenswert ist das starke Interesse der jüngeren Generationen an essbaren Insekten, da sie nicht so stark formatiert sind (kulturelle Blockaden) wie Erwachsene/Senioren und weil ihre Sensibilität für eine nachhaltigere Welt dringender ist.»

Die Medien hingegen wenden sich dem nächsten «Hype» zu. Fleisch aus dem Labor. Das bisher als In-vitro-Fleisch bekannte Produkt versucht sich heutzutage als «Cultured Meat» −  also kultiviertes Fleisch – auf unsere Teller zu kämpfen. Bis das so weit ist, kann es aber noch einige Jahre dauern. Gesetzlich geregelt ist diese Produktionsart noch nicht wirklich, die Produkte sind für den heimischen Markt noch nicht freigegeben und die Massenproduktion ist noch weit entfernt. Erst in Singapur gibt es bisher zugelassenes Laborfleisch, in Form von Chicken Nuggets.

Fleisch aus Stammzellen
Um im Labor das Fleisch wachsen zu lassen, braucht es fleischliche Stammzellen. Dafür werden lebenden Hühnern chirurgisch Muskel- und Fettzellen entnommen, ohne dass sie dafür sterben müssen. Man könnte auch Zellen von frischen Schlachtabfällen benutzen, ganz ohne Tier geht es aber nicht. Mithilfe einer pflanzlichen Nährlösung werden diese Zellen dann so lange vermehrt, bis es genügend sind, um die Nuggets daraus zu formen.

Der grosse Vorteil des kultivierten Fleisches: Es ist echtes Fleisch und geschmacklich vom konventionell hergestellten Fleisch kaum zu unterscheiden. Auch fürs Klima soll das Laborfleisch nützlich sein. Laut einer Studie der Universitäten Oxford und Amsterdam könnten durch Laborfleisch bis zu 99 Prozent weniger Fläche und etwa 90 Prozent weniger Wasser nötig sein, um Fleisch herzustellen. Solche Hochrechnungen sind aber bisher nur theoretischer Natur. Beim Stromverbrauch würde sich laut der Studie bei der Umstellung auf Laborfleisch allerdings kaum etwas tun. Der Einsatz von erneuerbaren Energien wäre also auch hier entscheidend. Ähnlich sieht es bei den Emissionen aus. Unter den vier Produkten mit dem grössten Klimaeffekt ist das Laborfleisch nach Rindfleisch auf Platz zwei. Auf Platz drei liegt Mykoprotein (Fleischersatz auf Pilzbasis) und auf Platz vier Hähnchenfleisch. Danach folgen Algen, Schwein sowie Tofu und etwas abgeschlagen Erbsen, Jackfruits, Bohnen, Insekten, Weizen und Nüsse.

Doch es gibt noch mehr Nachteile. Denn selbst wenn die Lebendentnahme ohne den Tod des Tieres auskommt, empfindet dieses dabei Schmerzen. Verwendet man aber fetales Kälberserum als Teil des Nährmediums für die Herstellung, müssen sowohl Muttertier als auch Kalb getötet werden. Fraglich ist auch der Einsatz von Antibiotika, denn für die Massenproduktion werden grosse Bioreaktoren eingesetzt. In diesen müssen Nährmedium, Temperatur, Sauerstoff und pH-Wert präzise nachempfunden und kontrolliert werden – oftmals werden präventiv zur Abwehr von Bakterien Antibiotika zugesetzt. In einer sterilen Laborumgebung werden diese aber eigentlich nicht benötigt.
Problematisch ist bisher auch noch die Textur des Laborfleisches. Aktuell ist vor allem unstrukturiertes Fleisch machbar, also kleine Fleischstücke wie Hackfleisch. Ein ganzes Steak oder Entrecote wachsen zu lassen ist noch nicht rentabel möglich.

Weder die Insekten noch das Laborfleisch werden derzeit in den Massen hergestellt, die nötig wären, um eine ernsthafte Rolle bei der Ernährung von Bevölkerungen zu spielen. Dementsprechend teuer sind die Produkte auch noch. Eine Portion Laborfleisch war anfangs nicht unter ein paar Hunderttausend Euro zu haben. Das kann sich jedoch schnell ändern, sobald die Produkte reif für den Markt sind. Das Good Food Institute schätzt, dass Laborfleisch bis 2030 einen wettbewerbsfähigen Preis erreicht haben könnte. Bis dahin könnte es schon zehn Prozent des weltweiten Marktes für Fleisch und Fleischersatz ausmachen und in 20 Jahren könnten Laborfleisch und vegane Fleischersatzprodukte zusammen global für mehr Umsatz sorgen als herkömmliches Fleisch.

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