Fünf Sinne hat der Mensch gemäss allgemeinem Sprachgebrauch. Die Produkte des ukrainischen Start-ups Ochis bedienen zwei davon: Die Brillengestelle aus Kaffeesatz duften nach einem feinen Espresso.
John Micelli
«Wir glauben, dass es für die Menschen wichtig ist, ein Stück Normalität zu erleben», sagt Oleg Kamluk vom Kashtan Café in der ukrainischen Hauptstadt Kiew, deshalb hätten sie zwei Wochen nach Kriegsbeginn ihr Lokal wieder geöffnet. «Das garantiert uns einen beständigen Zustrom von Rohmaterial», freut sich der vormalige Ochis-Verkaufsleiter Mykhailo Koshko im Porträt der Nachrichtenplattform Business Insider. Denn die Manufaktur fügt den Abfällen des Kashtan in einem geheimen Verfahren weitere natürliche Stoffe – darunter Flachs und Sojaöl – zu und presst den behandelten Kaffeesatz zu hochwertigen Brillengestellen. Ochis-Gründer Maksym Havrylenko stammt aus einer Familie von Optikerinnen sowie Optikern und war besessen von der Idee nachhaltiger Produktion. Der Weg zum Erfolg führte über zahlreiche Experimente mit verschiedenen Rohstoffen und war am Ende fast ein Zufall: «Meine Freundin kam mit einem Becher in der Hand ins Studio und fragte, ‹Max, warum versuchen wir es nicht mit Kaffee?›» 2019 begann die Produktion, das Startkapital hatte sich Ochis auf einer Crowdfunding-Plattform beschafft – die Kyiv Post schrieb damals von einem «Boom» –, und das junge Unternehmen hatte grosse Pläne: ein Kaffeesatz-Liefervertrag mit Starbucks, grösste Kaffeehauskette der Welt. Das angestrebte Wachstum aber liess sich nicht umsetzen – seit Kriegsbeginn musste Ochis mehrmals die Arbeit in Kiew unterbrechen. Die regelmässigen Luftangriffe auf die Hauptstadt, Stromausfälle und Schäden an der Trinkwasserversorgung machen dem Start-up zu schaffen. Nur fünf Gestelle schafft der Handwerksbetrieb derzeit am Tag.
Ukrainische Blüte
«Man reagiert mit der Zeit auf alle lauten Geräusche», erzählt Betriebsleiterin Anastasia Romanuk aus ihrem Arbeitsalltag: «Aber wenn wir aufgeben, haben wir schon verloren.» Es gehe auch darum, der Welt zu zeigen, dass die Ukraine ein modernes, aufgeschlossenes Land sei und in der Lage, umweltfreundliche Produkte herzustellen. «Deshalb haben wir 2022 die Kollektion ‹Tsvit› (‹Blüte›) mit dekorativen getrockneten Feldblumen geschaffen», ergänzt Koshko. Den Vergleich mit anderen Herstellern brauche Ochis nicht zu fürchten, bestätigt der Business Insider, das Material sei wasserfest und langlebig – entsprechend befasst sich Havrylenko schon mit weiteren Anwendungsmöglichkeiten seiner Erfindung. Von den Brillen wandern derzeit rund zehn Prozent in der Ukraine über den Ladentisch – den grossen Rest verkauft das Kleinunternehmen über seine Website www.ochis.co in die ganze Welt.