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Die Weltgesundheitsorganisation spricht von einem «historischen Moment»: Erstmals in der Menschheitsgeschichte steht ein Impfstoff gegen Malaria zur Verfügung. Eine Ansteckung mit der Infektionskrankheit ist zwar theoretisch auch in der Schweiz möglich. 90 Prozent der jährlich rund 400 000 Todesfälle im Zusammenhang mit Malaria aber sind in Afrika südlich der Sahara zu beklagen. Betroffen sind zu zwei Drittel Kinder unter fünf Jahren.

von John Micelli

Der Tod der kleinen Sofia am 4. September 2017 warf in Italien hohe Wellen: Während der Sommerferien in der Nähe von Venedig war die Vierjährige erkrankt. Rasch verschlechterte sich ihr Zustand. Weil ihr im Spital «Santa Chiara» in Trento – der Wohnort ihrer Eltern – nicht geholfen werden konnte, wurde sie in einem komatösen Zustand in ein überregionales Gesundheitszentrum in Brescia verlegt. Sofia aber wachte nie mehr auf. Die «zerebrale Malaria», die von Kopfschmerzen und Gedächtnisstörungen, Lähmungen, Sprach- und Sehstörungen, aber auch epileptischen Anfällen begleitet werden kann, ist die gefürchtetste und gefährlichste Komplikation der «Malaria tropica», eine von drei von verschiedenen Erregern ausgelösten Krankheitsformen. Wird bei einer Infektion mit der «Tropica» nicht innerhalb von 24 Stunden mit der entsprechenden Therapie begonnen, verschlechtern sich die Überlebenschancen der Patientinnen und Patienten mit jedem Tag massiv.

Dieser Umstand ist Sofia zum Verhängnis geworden: Niemand dachte in Norditalien im ersten Moment an eine tropische Krankheit. Obwohl das Risiko bekannt ist: «In Italien, im Tessin und nördlich der Alpen wurden schon Mücken beobachtet, die den Erreger theoretisch weitergeben könnten. Es ist aber eine Subspezies der Anopheles-Mücke und diese überträgt den Erreger weniger gut», beruhigt Johannes Blum vom Schweizerischen Tropeninstitut in Basel. «Hingegen muss man bei Reisen in Malaria-Endemiegebiete die Möglichkeit einer Malariainfektion immer in Betracht ziehen», führt der Facharzt weiter aus und erklärt, warum auch in diesen Regionen die Kleinsten am stärksten bedroht seien: «Säuglinge in Subsahara-Afrika erhalten von der Mutter Antikörper. Aber sie verlieren diesen Mutterschutz und müssen selbst Immunität aufbauen. In der Zeit, in der diese Kinder den Mutterschutz verlieren, sind sie dann besonders anfällig für Malaria.»

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30 Jahre Forschung
Der Erreger Plasmodium falciparum – Plasmodien sind einzellige Parasiten – rafft in Afrika südlich der Sahara jährlich mehr als eine Viertelmillion Kinder unter fünf Jahren dahin und ist damit eine der Hauptursachen für die hohe Kindersterblichkeit in der Region. Seit der Jahrhundertwende konnte mit Präventions- und Therapiemassnahmen, wie Insektizid-behandelte Bettnetze oder Malaria-Schnelltests, die Zahl der Todesfälle mehr als halbiert werden. Seit ein paar Jahren allerdings musste die Weltgesundheitsorganisation WHO eine Stagnation dieser positiven Entwicklung feststellen.

​«Der Anopheles-Moskito als Überträger der Malaria entwickelte gegenüber vielen gängigen Insektiziden Resistenzen», führte Rolf Fendel vom Institut für Tropenmedizin der Universität Tübingen an einem internationalen Kongress im vergangenen Jahr aus.«Hinzu kommt, dass manche Parasiten nicht mehr von den sensitiven Schnelltests erkannt werden und damit auch die Diagnostik deutlich aufwendiger geworden ist.» Deshalb frohlockt der Immunologe und WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus: «Wenn die neue Impfung zusätzlich zu den vorhandenen Mitteln zur Malariaprophylaxe eingesetzt wird, könnten jedes Jahr Zehntausende von jungen Menschenleben gerettet werden.» Die Wirksamkeit des «RTS, S» oder «Mosquirix» genannten Impfstoffes, der vom Pharmaunternehmen GlaxoSmithKline in Zusammenarbeit mit der Non-Profit-Organisation Program for Appropriate Technology in Health (PATH) entwickelt worden war, konnte durch ein Pilotprogramm in Ghana, Kenia und Malawi, das seit 2019 mehr als 800 000 Kinder erreichte, belegt werden. 30 Jahre Forschung und Entwicklung sind diesem Meilenstein vorausgegangen, an dem neben dem britischen Unternehmen und der US-amerikanischen NGO auch ein Netzwerk afrikanischer Forschungszentren beteiligt war.

Gut und günstig
Gemäss den Vorgaben der WHO ist RTS, S zur Vorbeugung bei Kindern in Regionen mit mässigem bis hohem Risiko bestimmt und kann ab dem fünften Lebensmonat in vier Dosen verabreicht werden. Die Impfkampagne wird in Subsahara-Afrika mit bestehenden Gesundheitsangeboten für Familien verknüpft, um möglichst viele Menschen zu erreichen. Denn vor Bekanntmachung der guten Nachricht hat die WHO nicht nur die Wirksamkeit des Impfstoffes abklären lassen, sondern auch die Umsetzbarkeit ihrer Strategie geprüft. Bestätigt werden konnte, dass die Einführung von Mosquirix gut in Routine-Impfungen integriert werden kann, die Chancengleichheit beim Zugang zur Malariaprävention erhöht und das Gesundheitsverhalten der Bevölkerung nicht beeinträchtigt wird (das heisst, es werden weiterhin Insektizid-imprägnierte Moskitonetze benutzt und mit fieberhaften Erkrankungen wird unverändert umsichtig umgegangen). Dank dem Einsatz des neuen Impfstoffes konnte im Pilotprogramm die Zahl der Todesfälle durch Malaria um 30 Prozent reduziert werden. Und für die anstehenden Verhandlungen zur Finanzierung der breiten Einführung besonders wichtig:  

In Gebieten mit mässiger bis hoher Malariaübertragung übertreffen die Einsparungen in den Gesundheitssystemen durch die Impfung die Kosten bei Weitem.

 

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