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Während 54 Stunden versah eine Schweineniere in einem menschlichen Körper ihren Dienst tadellos, dann wurde der vor Kurzem am New Yorker Langone-Transplantations-Institut durchgeführte Versuch plangemäss beendet. Das erfolgreiche Experiment weckt weltweit Hoffnungen, dass Organe von Tieren bald den eklatanten menschlichen Spendermangel kompensieren könnten. Lauter werden aber auch die Stimmen, die einen Marschhalt der Forschung fordern – und eine öffentliche Debatte: Heiligt der Zweck jedes Mittel?

von John Micelli

Ende September dieses Jahres warteten in der Schweiz 1408 Personen auf ein Spenderorgan. Eine oder zwei von ihnen wird gemäss Erhebungen der Stiftung Swisstransplant das Ende dieser Woche nicht mehr erleben. Denn dem Bedarf der jährlich um die 1500 Patientinnen und Patienten, die eine Transplantation benötigen, stehen in unserem Land im gleichen Zeitraum 150 potenzielle Spender gegenüber. Deshalb ist der Ständerat in der Herbstsession dem Nationalrat gefolgt und hat der Widerspruchslösung zugestimmt: Wer nach seinem Tod keine Organe spenden möchte, soll dies neu explizit festhalten müssen. Ohne Widerspruch dürften nach dem Tod Organe und Gewebe entnommen werden.

Ein überparteiliches Referendums-Komitee will die Stimmbevölkerung entscheiden lassen und sammelt derzeit Unterschriften gegen den Entscheid von Bundesrat und Parlament. Denn gegen die Widerspruchslösung gibt es ethische und juristische Einwände (mehr dazu im Interview mit dem Theologen und Ethiker Konrad Hilpert auf Seite 22). Befürworter dagegen betonen, dass eine bessere Verfügbarkeit von Spenderorganen gerade jungen und jüngsten Patientinnen und Patienten zugutekäme, weil alternative Behandlungs- und Therapieoptionen die neuromotorische, psychosoziale, schulische und berufliche Entwicklung belasten könnten. Manchen erscheint deshalb die sogenannte «Xenotransplantation» – die Übertragung von lebenden Zellen, Geweben oder Organen beispielsweise von einem Schwein auf einen Menschen – als elegantester Weg aus dem Dilemma. Und die internationale Forschung hat auf diesem Gebiet in den vergangenen zwei Jahrzehnten erstaunliche Fortschritte gemacht.

Erwarteter Erfolg
Am Transplantations-Institut des renommierten medizinischen Zentrums Langone Health der New Yorker Universität nun ist im Oktober einem Team um den Chirurgen Robert Montgomery ein aufsehenerregendes Experiment geglückt: Die mit den Blutgefässen einer hirntoten Frau verbundene Schweineniere machte mehr als zwei Tage lang genau das, was sie tun sollte: Sie filterte Abfallprodukte aus dem Körper und produzierte Urin. Die Meldung vom erfolgreichen Versuch griffen Tageszeitungen und Nachrichten-Portale weltweit auf, die Fachwelt dagegen reagierte verhalten: Nach zahlreichen erfolgreichen Transplantationen der Organe von Schweinen in nicht humane Primaten in präklinischen Studien sei der Erfolg – die Überwindung der hyperakuten Abstossreaktion – zu erwarten gewesen, gab Konrad Fischer, Leiter der Sektion Xenotransplantation an der Technischen Universität München, auf dem Fachportal Medscape zu Protokoll. Und auch das vermutlich spendende Schwein sei – im übertragenen Sinn – in die Jahre gekommen: Das nicht klar beschriebene Schweinemodell stamme von der Firma Revivicor, Tochter des US-amerikanischen, börsennotierten Biotechnologieunternehmens United Therapeutics.

«Sollte es sich um das GGTA1-hTM-CD46-Tiermodell handeln, ist das schon ein sehr alter Genotyp. Wesentlich bessere und modernere Genotypen sind bereits verfügbar», erklärte der Molekularbiologe Fischer. Denn obwohl Schweine in Bezug auf Grösse und Funktion ihrer Organe als favorisierte Spenderorganismen gelten, muss ihr Erbgut verändert werden, damit sie als «Ersatzteillager» für Menschen infrage kommen. So wurden Antigene auf Schweinezellen inaktiviert, gegen die es im Blut von Primaten präformierte Antikörper gibt und die deshalb die massive Abstossungsreaktion provozieren. Aufgrund der Inkompatibilität der Blutgerinnungssysteme mussten ausserdem Schweine generiert werden, die menschliches Thrombomodulin – ein Protein – ausschütten können, um die Bildung von Thromben und andere Gerinnungsstörungen nach der Transplantation zu verhindern. Dank der im vergangenen Jahr mit dem Nobel-Preis ausgezeichneten CRISPR/Cas-Methode – sie ermöglicht es, DNA, Trägerin der Erbinformation aller Lebewesen, gezielt zu schneiden und zu verändern – schliesslich sind Schweine entstanden, die keine porzinen endogenen Retroviren in sich tragen. Denn die Übertragung von neuen Krankheitserregern auf den Menschen muss – gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Pandemie – unbedingt verhindert werden.

Die Geburt der Mischwesen
Um die Verfügbarkeit transplantierbarer Organe zu verbessern werden aber nicht nur Schweine genetisch modifiziert. «Vor zehn Jahren galt ich als verrückter Wissenschaftler», zitiert das Wissenschaftsmagazin Nature den Zellbiologen Hiromitsu Nakauchi. 2019 dann erlaubte Japan als erstes Land der Welt dem Professor an der kalifornischen Stanford-Universität, Tier-Embryonen mit menschlichen Zellen zu bestücken und in einem Muttertier bis zu Geburt wachsen zu lassen. So sollten neue Erkenntnisse gewonnen werden, um dereinst die Xenotransplantation zu vereinfachen. Denn viele Probleme der Organübertragung wären gelöst, stünden aus menschlichen Zellen in tierischen Organismen gewachsene Organe zur Verfügung. Deshalb hat sich die Forschung der Produktion sogenannter Chimären – nach den Mischwesen der griechischen Mythologie – zugewandt. 2017 war es Nakauchi gelungen, Bauchspeicheldrüsen von Mäusen in Ratten zu züchten. Das klingt zwar tatsächlich nach der nutzlosen Spielerei eines verrückten Forschers, hat aber durchaus einen ernsthaften Hintergrund: Die Bauchspeicheldrüse reguliert über die Bildung der Hormone Insulin und Glucagon den Blutzuckerspiegel.

Durch die Verpflanzung von Bauchspeicheldrüsenzellen könnte Diabetikerinnen und Diabetikern nachhaltig geholfen werden. Von menschlichen Spendern aber stehen solche Zellen nicht im benötigten Umfang zur Verfügung. Diesen Umstand wollte Nakauchi nicht hinnehmen und die Erfolge der Stammzellenforschung gaben ihm das nötige Werkzeug in die Hand: In der Erbinformation seiner Ratten schaltete er das Gen aus, das die Entwicklung der Bauchspeicheldrüse steuert. Stattdessen pflanzte er Stammzellen von Mäusen ein, die die verwaiste Nische nutzten. Das Resultat waren Ratten mit den voll funktionsfähigen Mäuse-Organen. Nakauchis Erfolg wurde als Meilenstein gefeiert. Am Ziel – die Produktion von Organen aus menschlichen Zellen in tierischen Wirten – ist die Forschung deswegen aber noch lange nicht. Der Spanier Juan Carlos Izpisúa Belmonte, Forscher am kalifornischen Salk-Institut, scheiterte mehrmals beim Versuch, menschliche Stammzellen in Schweineembryonen zu pflanzen.

«Zellen sprechen verschiedene Sprachen», zitierte das Nachrichtenmagazin Spiegel den Biochemiker. «Menschliche Zellen in Schweinegewebe, das ist, wie wenn ein Chinese und ein Franzose miteinander sprechen.» Ratten und Mäuse sind einander sehr ähnlich. Die Entwicklungslinien von Mensch und Hausschwein aber haben sich vor 90 Millionen Jahren getrennt. Besser würden sich Menschen- und Affenzellen verstehen, so Izpisúa Belmonte: «Ihre Sprachen sind verwandt, ungefähr so wie sich das Französische und das Spanische ähneln.» Deshalb forscht der «Meister der Zelldressur» − so der Spiegel – nun an Embryonen von Makaken. Nicht um menschliche Organe in den Primaten heranwachsen zu lassen, wie der Entwicklungsbiologe betont, sondern in der Hoffnung auf grundsätzliche Erkenntnisse über die Integration menschlicher Zellen in artfremde Organismen.

Die letzte Grenze
Im Frühling 2021 konnte Izpisúa Belmonte verkünden, dass es seinem Team gelungen sei, die Artengrenze zwischen Affe und Mensch zu überschreiten. In einem Bericht im Fachmagazin Cell beschrieb er das Vorgehen detailliert: Sechs Tage nach der Befruchtung schleusten die Forscherinnen und Forscher jeweils 25 menschliche Stammzellen in die Embryonen von Langschwanzmakaken. In einer Mehrheit der Fälle fügten sich diese gut ein, die Mischgebilde entwickelten sich allem Anschein nach normal. Immerhin drei der ursprünglich über 100 Mischwesen überdauerten im Labor bis zum 19. Tag – kein menschlicher Embryo hat je so lange in der Petrischale überlebt. Die Lebensdauer der Embryonen ist deshalb bedeutsam, weil in der dritten Woche nach der Befruchtung die sogenannte «Gastrulation» einsetzt: In der bis zu diesem Zeitpunkt hohlen Zellkugel beginnen sich die Zelltypen, aus denen später Organe gebildet werden, zu differenzieren – es wird sozusagen der «Bauplan» angelegt.

Dieser Vorgang lag bisher weitgehend im Dunkeln. Izpisúa Belmonte, der vom Ruf begleitet wird, mit seinem Erkenntnisdrang immer wieder ungestüm ethische Barrieren niederzureissen, hat nun das Detailstudium der Gastrulation ermöglicht. Zu diesem Erfolg wird ihm aber nicht nur gratuliert. «Das Risiko ist eine Verwischung der Grenzen zwischen Mensch und Tier», kommentierte beispielsweise Nita Farahany, Ethikerin an der Duke University im US-Bundesstaat North Carolina, die Experimente: «Wir müssen beobachten, wohin die Forschung geht, um sicherzustellen, dass sie in einer Weise durchgeführt wird, die ethisch zulässig ist – und dass sie keine Grenzen überwindet, die wir als Gesellschaft nicht überschreiten wollen.» Und Gerald Neitzke, Leiter der Arbeitsgruppe klinische Ethik an der Universität Hannover, erinnerte im Interview mit Medscape daran, dass hierzulande die Bildung von Chimären aus menschlichen Embryonen ausdrücklich verboten sei: «Das Hauptproblem ist, dass der moralische und juristische Status solcher Mischwesen nicht ansatzweise geklärt ist. Wie gross muss der Anteil menschlicher Zellen in einem Lebewesen sein, um ihm die Menschenwürde zuzuerkennen?

Wie hoch kann der tierische Anteil noch sein, um nicht als Tier behandelt zu werden? Und: Ist es rechtens, das Leben eines Tieres so zu verzwecken, dass darin menschliche Organe heranwachsen dürfen?» Auf die Frage, ob es denn aber vertretbar sei, aufgrund dieser Bedenken schwerkranken Menschen lebensrettende Transplantate zu verweigern, antwortete der Professor, dass im Moment von Visionen die Rede sei, nicht von tatsächlich verfügbaren therapeutischen Optionen. Vor der Bewilligung weiterer Experimente fordert deshalb Ethikerin Farahany eine breite öffentliche Debatte darüber, «womit wir einverstanden sind und womit nicht». Und Mary Garry, die mit ihrem Mann Dan an der Universität von Minnesota versucht, Schweine mit menschlichen Blutgefässen und Muskelgewebe zu bestücken, pflichtet ihr bei: «Wir müssen alles tun, um unsere Forschung sicher und für die Gesellschaft akzeptabel zu gestalten. Das ist unsere Pflicht als Wissenschaftler. Und solange wir keinen offenen Dialog darüber führen, werden wir nicht verstehen, was die Bedenken sind.»

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