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Der weltweite Pestizidmarkt wächst – und es ist nur eine Handvoll Konzerne, die ihn untereinander aufteilen. Immer stärker investieren sie in den Ländern des globalen Südens, wo Pestizide weniger streng reguliert werden.

Carla Hoinkes

Die meisten Agrochemiekonzerne wie Bayer oder Syngenta entstanden aus Chemie- oder Pharmafirmen, deren Gründungen teils bis ins 19. Jahrhundert zurückgehen. Zu ihrer heutigen Form haben sie sich entwickelt, als sie mit dem Aufkommen der Gentechnik in der Landwirtschaft ab Mitte der 1990er-Jahre ein neues Geschäftsmodell in der Kombination von Pestizid- mit Saatgutverkäufen entdeckten. In grosser Zahl kauften sie kleinere Saatguthersteller auf und spalteten rund um die Jahrtausendwende die Agrarsparte vom restlichen Geschäft ab, um neue spezialisierte Konzerne zu bilden. In den letzten Jahren haben sich die Anteile dieser Konzerne am Weltmarkt nochmals stark vergrössert. 2017 übernahm das chinesische Staatsunternehmen ChemChina den Schweizer Agrarkonzern Syngenta, zusätzlich fusionierten die beiden US-Unternehmen Dow Chemicals und Dupont, um ihre Pestizid- und Saatgutgeschäfte 2019 in Corteva Agrisciences zusammenzulegen. 2018 übernahm der deutsche Chemiekonzern Bayer die US-amerikanische Firma Monsanto und verkaufte Teile seines Geschäfts an die deutsche Chemiefirma BASF, die damit ins Saatgutgeschäft einstieg.

2020 schliesslich wurden Syngenta, der Pestizidhersteller Adama aus Israel und Sinochem aus China in der neuen Syngenta Group vereint. Die vier Konzerne – die Syngenta Group, Bayer, Corteva und BASF – teilten sich 2018 etwa 70 Prozent des Weltmarktes für Pestizide. Zum Vergleich: 1994 betrug der Marktanteil der vier grössten Anbieter 29 Prozent. Im Saatgutsektor – der heute von genau denselben Konzernen angeführt wird – stieg der Anteil der grössten vier im selben Zeitraum von 21 auf 57 Prozent. Die Macht dieser Akteure und die Verschmelzung der beiden Geschäftsfelder wirken sich auf das Produktangebot und auf die Landwirtschaft weltweit aus. So haben Saatgutproduzenten, die gleichzeitig Pestizide verkaufen, ein Interesse, dass beim Anbau der Saat auch ihre Agrarchemikalien verwendet werden. Im Fokus stehen die züchterische Weiterentwicklung und gentechnische Veränderung weniger Kulturpflanzen, für die es grosse Absatzmärkte gibt, allen voran Soja und Mais, die zusammen knapp zwei Drittel des Saatgutmarkts ausmachen. Bayer erzielt mit Mais und Soja etwa 75 Prozent seiner Saatgut-Umsätze, Syngenta 55 Prozent und Corteva gar 85 Prozent.

Neue Mischung, altes Gift
Die Konzerne haben in den letzten Jahren viel Geld für Forschung ausgegeben, um Saatgut weiterzuentwickeln. Gleichzeitig stagnieren diese Ausgaben im Bereich der Agrarchemie. Im Jahr 2000 waren noch 70 Prozent der vermarkteten Pestizidsubstanzen mit einem Patent geschützt. Viele davon sind mittlerweile ausgelaufen: Auf nur noch 15 Prozent der Pestizide wird ein Patent gehalten; neue werden kaum noch angemeldet. Eine Ursache dafür sind strengere Zulassungsanforderungen vor allem in der Europäischen Union (EU), derentwegen sich die Kosten für die Markteinführung eines neuen Pestizidwirkstoffs deutlich erhöhen. Weniger neue Wirkstoffe bedeutet aber nicht, dass insgesamt weniger Pestizide vermarktet werden. Vielmehr greifen die grossen Firmen auf teilweise Jahrzehnte alte Pestizide zurück – die sie in immer neuen Produktmischungen und Kombinationen vertreiben. Zu den meistverkauften Pestizidprodukten gehören das unter Krebsverdacht stehende Herbizid Glyphosat (patentiert im Jahr 1971, auf dem Markt seit 1974), das für Menschen hochgiftige Paraquat (Wirkung als Herbizid entdeckt 1955, auf dem Markt seit 1962), das im Wasser langlebige und hormonaktive Atrazin (auf dem Markt seit 1958) oder die für Bienen hochgiftigen Insektizide der Klasse der Neonikotinoide (entwickelt 1985, auf dem Markt seit 1991).

Profit im Norden, Gift im Süden
In den Industriestaaten verkaufen die fünf grössten Produzenten insgesamt weniger hochgefährliche Pestizide als in den Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas: Während sie in Deutschland zwölf und in Frankreich elf Prozent am gesamten Pestizidumsatz der fünf grössten Firmen ausmachen, sind es in Brasilien 49 Prozent und in Indien 59 Prozent. Ein Grund dafür ist, dass die EU und die Staaten der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) mehrere hochgefährliche Pestizide verboten haben. Anderswo allerdings sind sie aufgrund lückenhafter Gesetzgebungen und industrienaher Regulierungsbehörden weiter zugelassen – insbesondere in Südamerika, Asien und zunehmend Afrika, wo die Pestizidverkäufe steigen. Das kontinuierliche Wachstum des globalen Pestizidmarkts um durchschnittlich 4,1 Prozent pro Jahr geht vor allem auf die Verkäufe in diesen Weltregionen zurück. Noch werden in Afrika mit durchschnittlich unter 0,4 Kilogramm pro Hektar Anbauland bislang am wenigsten Pestizide verwendet – weltweit liegt die Zahl bei etwa 2,6 Kilogramm pro Hektar. Doch längst hat die Industrie den afrikanischen Kontinent als grössten Wachstumsmarkt ausgemacht. Mit der zunehmenden Präsenz der Agrarindustrie verbreitet sich auch die Verwendung von hochgefährlichen Pestiziden.

Auszug aus dem Pestizid-Atlas der Heinrich-Böll-Stiftung.

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