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Im November haben in der Schweiz erstmals Pflegefachleute ihr Master-Studium als «Advanced Nurse Practitioner» abgeschlossen (wir berichteten darüber). In anderen Teilen der Welt allerdings sind die Pflegeexpertinnen und -experten APN bereits umfassend in die Gesundheitssysteme integriert und haben gerade während der Pandemie wertvolle Dienste geleistet. In der Stadt Zürich startet nun ein Pilotprojekt 

von John Micelli

 

«Eine Lücke im telemedizinischen Angebot» soll geschlossen werden, «Patientinnen und Patienten eine qualitativ hochwertige und zeitnahe Behandlung bequem bei sich zu Hause» erhalten und ein «senkender Effekt auf die Kostensteigerung im Gesundheitswesen» erzielt werden: Der Krankenversicherer SWICA und die Spitex Zürich versprechen sich grosse Erfolge vom Pilotprojekt «Home Tele Care». Im Januar 2019 hatte die Krankenkasse ihr Telemedizin-Zentrum «Santé24» eröffnet, um dem Trend hin zur ärztlichen Beratung via Telefon oder App zu entsprechen. Die Schaffung des Zentrums sei ein logischer Schritt aus der aktuellen Verschiebung im Gesundheitsmarkt, schrieb die SWICA damals, und dank der Praxisbewilligung der Zürcher Gesundheitsdirektion ein «strategischer Meilenstein»: Das Zentrum kann nach der telefonischen Beratung Rezepte und Zeugnisse ausstellen sowie Patientinnen und Patienten an Fachärztinnen oder Fachärzte überweisen. In Zusammenarbeit mit der Spitex Zürich wird dieses Angebot nun entscheidend ergänzt – während der Pilotphase von einem Jahr allerdings nur im Gebiet der Stadt Zürich. Bei Bedarf kann eine Pflegeexpertin APN innerhalb von maximal vier Stunden zu Hause bei der Patientin oder dem Patienten weitere Abklärungen vornehmen und nach Rücksprache die geeigneten Massnahmen ergreifen. Die Pflegefachleute berücksichtigen bei ihrer Einschätzung auch die soziale Situation sowie das Umfeld und erheben den Bedarf von Pflege und Therapie im eigenen Heim. Gegebenenfalls stellen sie sicher, dass sich ihre Kolleginnen und Kollegen von der Spitex um die Nachsorge kümmern. «Im Idealfall lässt sich ein unnötiger Besuch beim Arzt oder sogar in der Notaufnahme vermeiden», erklärt Jeanine Altherr vom Fachdienst APN der Spitex Zürich Sihl, eine der drei Organisationen unter dem Dach der Spitex Zürich, die mit rund 1600 Angestellten jährlich um die 10 000 Patientinnen und Patienten versorgt. 

Umfassend und effizient 
Ein gemeinsamer Bericht der McMaster University, der Ryerson University und des kanadischen Berufsverbandes Canadian Health Workforce Network (CHWN) von Oktober 2021 bescheinigt den Pflegeexpertinnen und -experten APN eine Führungsrolle «bei der Entwicklung von Innovationen zur Bereitstellung einer sicheren, evidenzbasierten Versorgung» während der Pandemie. Seit über zehn Jahren versehen die spezialisierten Pflegefachleute in Kanada ihren Dienst. Die Expertinnen und Experten hätten den Einsatz moderner Gesundheitstechnologien gefördert, den Zugang zur und die Qualität der medizinischen Versorgung verbessert sowie die Effizienz bei der Nutzung von materiellen und personellen Ressourcen gesteigert, so der Schluss des Reports. Besonders heben die Autorinnen und Autoren hervor, dass die Bedürfnisse und Anliegen von Patienten und Patienten im Bereich der psychischen Gesundheit besser berücksichtigt worden seien. «Zu verstehen, wie APNs zur weltweiten Reaktion auf die Pandemie beigetragen haben, ist von entscheidender Bedeutung für die Ermittlung von Strategien, die den Einsatz von APNs und die Ausweitung ihrer Methoden und Funktionen begünstigen», schreibt das Team um Erin Ziegler und Denise Bryant-Lukosius. Deshalb wird auch das Zürcher Projekt von einer Evaluation begleitet, die den Nutzen und das Erreichen der Ziele mit den zur Verfügung stehenden Mitteln beurteilen soll. Zugänglich ist das Angebot allerdings in dieser Phase nur für Versicherte der SWICA – aber unabhängig vom Versicherungsmodell – ab dem Alter von 16 Jahren.  

Gut vorbereitet 
«Auch für das Gesundheitswesen ergeben sich Vorteile», ist der Leiter des Telemedizin-Zentrums überzeugt. Die Pflegeexpertinnen mit Master-Abschluss würden ideal eingesetzt, erklärt Oliver Reich: «Die telemedizinische Erstbeurteilung und Begleitung durch Santé24 ermöglicht eine rasche Triage und situationsgerechte Zuweisung medizinischer Leistungen. Hausärzte und Notfalldienste werden von Konsultationen entlastet, bei denen die Anwesenheit einer Ärztin oder eines Arztes nicht zwingend notwendig ist.» Die medizinische Leiterin der virtuellen Praxis, Silke Schmitt Oggier, beschreibt den konkreten Ablauf der Visite: «Wenn eine Ärztin von Santé24 eine für Home Tele Care geeignete Verdachtsdiagnose stellt, bietet sie dem Patienten einen Besuch einer Pflegeexpertin APN an. Vor Ort beurteilt diese die Situation und untersucht den Patienten. Anschliessend sendet die Pflegeexpertin die erhobenen Daten an die behandelnde Ärztin, die sie in ihre Diagnosestellung einbezieht. Telefonisch wird die weitere Therapie abgesprochen.» Die involvierten Pflegeexpertinnen und -experten haben sich nicht nur im Rahmen ihres Studiums vertiefte und erweiterte pflegerisch-medizinische Kompetenz und Erfahrung in der ambulanten Versorgung angeeignet. Vom Institut für Pflege der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) wurden sie ausserdem spezifisch auf das Pilotprojekt vorbereitet. 

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