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Hoch im Norden auf der Inselgruppe um Spitzbergen in Norwegen lagern Millionen von Samen. Gemeint ist nicht das indigene Volk in Fennoskandinavien, sondern Saatgut. Von Mais über Kartoffeln bis hin zu Früchten. Dass diese Samenbibliothek äusserst wichtig ist, zeigen schon nur die stetige Monopolisierung der Saatgutanbieter auf dem weltweiten Markt und der Klimawandel. 

von Flavia Müller

Beim Plateauberg auf Spitzbergen, eine Insel der Svalbard-Inselgruppe in Norwegen, nahe der Stadt Longyearbyen, steht der weltweite Saatguttresor – ein Projekt des Welttreuhandfonds für Kulturpflanzenvielfalt zur langfristigen Einlagerung von Saatgut zum Erhalt und Schutz der Arten- und Varietäten-Diversität von Nutzpflanzen. 

Bei der Standortwahl für die Anlage galt es dabei einige Faktoren zu berücksichtigen, zum Beispiel, dass es im Umkreis keine tektonischen Aktivitäten gibt, dass die Infrastruktur gut ausgebaut und damit eine schnelle Erreichbarkeit gewährleistet ist, dass eine über das ganze Jahr anhaltende Frostumgebung existiert und dass ein leistungsfähiges örtliches Kraftwerk die Energieversorgung zuverlässig sichern kann. Ein Notstromaggregat sorgt im Notfall dafür, dass den Samen selbst dann nichts passiert.

Das Bauwerk ist eigentlich ein unterirdischer Bunker und reicht 120 Meter in eine alte Kohlegrube hinein  nur der Eingang liegt über der Erde. Im Inneren sind drei Hallen von jeweils 27 Metern Länge, zehn Metern Breite und sechs Metern Höhe in den Boden hineingebaut worden.

Die Lagerhallen liegen dabei 130 Meter über dem aktuellen Meeresspiegel, sollten also auch bei einem drastischen Meeresniveauanstieg durch den Klimawandel unversehrt bleiben. Weiter sind sie mit armiertem Beton und zwei dicken Stahltüren versehen und würden damit auch einem Atomkrieg oder einem Flugzeugabsturz standhalten

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Zwischen dem Tunnel und den Kammern ist in gesonderten Räumen ein Kälteverdichter installiert, in dem Kompressoren die bereits kalte Luft auf ein konstantes Niveau von −18 Grad Celsius abkühlen. Hier wird nichts dem Zufall überlassen und jede Eventualität wurde eingerechnet. Trotzdem musste aufgrund des Anstiegs der weltweiten Temperaturen (Klimawandel) die Anlage 2018 nachgerüstet werden.

Die Baukosten von rund 45 Millionen norwegischen Kronen (acht Millionen Schweizer Franken) und die Nachrüstung in gleicher Höhe wurden dabei von Norwegen übernommen. Die Kosten des laufenden Betriebs trägt der Welttreuhandfonds für Kulturpflanzenvielfalt.

Anders als bei anderen Saatgut-Bibliotheken wird in Svalbard nicht geforscht, sondern nur gelagert – zum Erhalt und Schutz der Arten- und Varietäten-Diversität von Nutzpflanzen. Internationale Saatgutbanken liefern das einzulagernde Saatgut, das aber deren Eigentum bleibt. Es wird nur im Auftrag des Eigentümers entnommen, wenn das Saatgut dort verloren gegangen ist. Die Haltbarkeit der Samen liegt wissenschaftlichen Schätzungen zufolge bei diesen Temperaturen bei etwa 55 Jahren (Samen der Sonnenblume) bis zu über 10 000 Jahren (Erbsensamen). Gealterte Samen werden dabei ständig ersetzt.

Weltweit gibt es rund 1400 weitere Saatgut-Tresore, jedoch bei Weitem nicht in der Grösse und Vielfalt wie in Norwegen. Die meisten anderen Tresore sind zudem spezialisiert auf eine einzelne Kultursorte – zum Beispiel Bananen. Einzig die Millennium Seed Bank in der Nähe von London soll bis zur kompletten Fertigstellung bis zu 100-mal grösser sein als der Tresor in Svalbard und Platz bieten für die Lagerung von Milliarden von Samenproben – in einem mehrstöckigen, unterirdischen Gewölbe mit Atombombenschutz.

In Norwegen lagern auch rund 10 384 Samenproben beigesteuert von der Schweiz, davon rund 8200 Proben mit Schweizer Saatgut. Die Aluminium-Sachets enthalten unter anderem Samen von alten und neuen Sorten der Kulturpflanzen Weizen, Triticale (Kreuzung aus Weizen-Roggen), Hafer, Roggen, Gerste, Dinkel sowie auch von Medizinal- und Aromapflanzen.

Saatgut-Monopole bedrohen Vielfalt 
Die Erhaltung von Saatgut in grösstmöglicher Vielfalt wird dabei zunehmend wichtiger. Seit der Übernahme von Monsanto durch Bayer werden mehr als 60 Prozent des kommerziellen Saatgutmarktes und des inzwischen dazugehörigen Pestizidmarktes von nur noch drei Konzernen beherrscht.

Diese weltweite Monopolisierung der Saatgutproduktion, die damit verbundenen Lizenzgebühren für die Landwirte und die Vereinheitlichung des Sortenangebotes bereiten Bauern, Umwelt- sowie Klimaschützern gleichermassen Kopfzerbrechen.

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Die Landwirte müssen Verträge unterzeichnen und dürfen keine Samen aus der kommenden Ernte verwenden (Nachbau), wie es über Jahrtausende hinweg allgemein üblich war. Dieser Nachbau brächte aufgrund der Struktur des Saatguts zudem weniger Ertrag. Stattdessen müssen sie die (mittlerweile mehrheitlich) gentechnisch veränderten Produkte immer wieder neu kaufen und sind so abhängig von den Grosskonzernen. 

Da sich die Konzerne dabei vor allem auf die «Cash Crops», also die besonders ertragreichen und lukrativen Sorten konzentrieren, gehen immer mehr Sorten verloren – darunter vor allem ältere, standortangepasste Sorten. 

Zumindest in der Schweiz ist der Anbau von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) nicht erlaubt. Ein mehrjähriges Moratorium ist noch bis Ende 2021 in Kraft. Die Forschung wird durch das Moratorium aber nicht eingeschränkt und auch Freisetzungsversuche in der Umwelt zu Forschungszwecken sind erlaubt – genauso wie der grundsätzliche Import von GVO. 

 Die Gesetzgebung spielt zusätzlich den grossen Monopolisten in die Karten und birgt grosse Gefahren für die Welternährung. Welche Kriterien Saatgut erfüllen muss, regelt das Saatgutverkehrsrecht. Eine Sorte wird nur dann zugelassen, wenn sie unterscheidbar, homogen und stabil ist. Damit zielen die Kriterien der Zulassung in erster Linie auf Hochleistungssorten ab. Viele lokal angepasste, seltene und alte Sorten von Gemüse, Obst und Getreide, die auf genetischer Vielfalt beruhen, können diese Kriterien deshalb nicht erfüllen. Zudem fehlen kleineren Betrieben und Gärtnereien oft die nötigen Mittel, um kostspielige Testverfahren zu finanzieren. 

Im Laufe des 20. Jahrhunderts sind laut Schätzungen der Welternährungsorganisation bereits etwa 75 Prozent der Kulturpflanzenvielfalt verloren gegangen. Gab es beispielsweise in Indien vor der «Grünen Revolution» um die 50 000 Reissorten, waren es 20 Jahre später schätzungsweise nur noch 40 Sorten. 

Kleinere Organisationen wehren sich mit ganzer Kraft gegen den Verlust der Artenvielfalt. So betreibt auch ProSpecieRara an ihrem Hauptsitz in Basel eine Samenbibliothek und lagert Saatgut von über 1700 seltenen Garten-, Acker- und Zierpflanzen-Sorten. Dieses dient der Erhaltung und als Basis zur Wiederverbreitung der alten, standortangepassten Sorten. 

Gärtnern für die Zukunft
Die Vermehrung und Erhaltung der rund 1700 samenvermehrbaren Sorten von ProSpecieRara liegen dabei in den Händen von rund 600 in Samenbaukursen ausgebildeten, ehrenamtlichen Privatgärtnern. Jeder Ein- und Ausgang wird in einer Datenbank akribisch erfasst, um den Weg der Samen genau verfolgen zu können. Dies ist vor allem wichtig, falls Krankheiten oder Verkreuzungen auftreten sollten. Privatanbieter, also Sortenbetreuende, die mehr Saatgut produzieren, als sie für weitere Vermehrungen und für die Samenbibliothek brauchen, geben ihren Überschuss zusätzlich kostenlos an Gönner von ProSpecieRara weiter – via dem Sortenfinder auf der Website. Sie ermöglichen damit einen schweizweiten Saatgutaustausch traditioneller Sorten.
 

Eine grosse genetische Bandbreite an Eigenschaften ermöglicht es, dass sich unsere Landwirtschaft an veränderte Umweltbedingungen – Stichwort Klimawandel, neue Krankheiten oder Schädlinge – anpassen kann. Verändern sich die Anbaubedingungen, können die Eigenschaften von alten Sorten wieder interessant und wünschenswert werden – selbst wenn diese nicht als «Cash Crops» gelten.

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