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Die Corona-Pandemie hat zu einem schweren und weltweiten Wirtschaftseinbruch geführt und beeinträchtigt seit mehr als einem Jahr das gesellschaftliche Leben in all seinen Facetten. Die Krise ist eine besondere Herausforderung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und hat uns Licht und Schatten unserer Gesellschaftsordnung wie in einem Brennglas vor Augen geführt.

von Veronika Grimm

Die Geschwindigkeit von Anpassungsprozessen hat manch einen überrascht. Digitale Technologien ermöglichten im Frühjahr 2020 innerhalb kürzester Zeit die teilweise Verlagerung etwa der Büroarbeit, der Studienangebote der Universitäten, aber auch des privaten Konsums in den virtuellen Raum. Bedenken und fehlende Anpassungsbereitschaft, die vor der Krise die Digitalisierung von Arbeitsprozessen gebremst hatten, wichen oft dem Einfallsreichtum und der Flexibilität der Menschen und der Unternehmen. Vielerorts hatte man sich schnell neue Handlungsspielräume geschaffen. Gleichzeitig traten deutliche Defizite in der Digitalisierung sowie Hemmnisse durch die Entscheidungsstrukturen unübersehbar zutage: Die Schulen sind – trotz Bemühungen um die Digitalisierung – nach einem Jahr immer noch nicht in die Lage versetzt worden, wirklich alle Kinder und Jugendlichen zu erreichen; die Digitalisierung der Gesundheitsämter zur effektiven Verfolgung von Infektionsketten lässt weiterhin auf sich warten; und die Corona-Warn-App ist immer noch ein zahnloser Tiger. Dort, wo vielfältige und gegenläufige Interessen aufeinandertreffen – Gesundheitsschutz, Datenschutz, Freiheitsrechte, das Recht auf Bildung –, wird natürlich kontrovers diskutiert. In den polarisierten Debatten sollten leidtragende Gruppen wie Kinder und sozial Benachteiligte prominenter und lauter gehört werden. Dadurch kommen auch gravierende langfristige Folgen von Entscheidungen stärker in den Fokus.

In der Krise brauchten wir einen handlungsfähigen Staat, um die Lasten abzufedern und den Zusammenbruch von Existenzen und funktionsfähigen Strukturen zu verhindern. Im Frühjahr 2020 hat die Politik schnell, konsequent und zielgerichtet agiert. Mit dem ersten Lockdown gingen umfangreiche Hilfsmassnahmen einher. Mittels der sogenannten «automatischen Stabilisatoren», allem voran die Kurzarbeit, und weiterer Stützungsmassnahmen für die Unternehmen und die Haushalte hat der Staat dazu beigetragen, Risiken abzufedern und den Wirtschaftseinbruch abzumildern. Die Entscheidungen wurden früh und konsequent getroffen und von Ökonomen im Grundsatz einhellig positiv bewertet. Neben den kurzfristig wirksamen Massnahmen sind das Zukunftspaket im Rahmen des Konjunkturprogramms aus dem Juli 2020 sowie die Einigung auf den europäischen Wiederaufbaufonds im Juli 2020 besonders bemerkenswert. Aus diesen Programmen stehen nun hohe Summen für öffentliche Investitionen zur Verfügung, um Wachstumsimpulse zu setzen und die Resilienz der europäischen Wirtschaft nach der Krise zu stärken. An Investitionsbedarf mangelt es nicht. Es gilt, die Digitalisierung voranzutreiben, das Bildungssystem zu stärken und vor allem die grüne Transformation zu beschleunigen. Schon zu Beginn der Krise gab es Befürchtungen, der Klimaschutz würde von der Corona-Krise überrollt und der Zusammenhalt in Europa gefährdet. Beides hat sich nicht bestätigt.

Der Paradigmenwechsel ist im Gang
Bereits im Jahr vor der Corona-Krise hatte sich ein Paradigmenwechsel in der Energie- und Klimapolitik abgezeichnet. Ausgelöst durch die Fridays-for-Future-Bewegung, immer offensichtlichere Klimarisiken und verstärkt durch den technologischen Fortschritt trat das Ziel der Klimaneutralität in der EU in den Mittelpunkt. Mit dem European Green Deal wurde eine radikale Reformagenda angekündigt. Zunehmend zeichnet sich ab, dass die Transformation sich beschleunigt und alle Bereiche unserer Wirtschaft fundamental verändern wird. Unternehmen oder Unternehmensbereiche werden geschlossen werden, weil Geschäftsfelder auf der Basis fossiler Energieträger keine Zukunft mehr haben – zum Beispiel in der Automobil- und Zulieferindustrie oder in der Chemieindustrie. Gleichzeitig läutet der Green Deal den Wettbewerb um neue Zukunfts- und Innovationsmärkte ein. Die Transformation birgt dadurch neben den Herausforderungen auch grosse industriepolitische Chancen. Für Unternehmen eröffnen sich neue Geschäftsfelder, etwa im Bereich klimafreundlicher Fahrzeuge oder KI-basierter Lösungen für nachhaltigen Pflanzenschutz. Der Investitionsbedarf für die anstehende Transformation ist immens. Die Europäische Kommission schätzt allein den (privaten und öffentlichen) Investitionsbedarf im Zusammenhang mit dem Green Deal auf 2,6 Billionen Euro in diesem Jahrzehnt.

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Die Krise nutzen
Die Chancen stehen gut, dass wir die Krise nutzen können, um den Klimaschutz in Europa zu beschleunigen und auch andere zentrale Handlungsfelder in den Blick zu nehmen. Das Corona-Konjunkturpaket und der europäische Wiederaufbaufonds ermöglichen es, umfangreiche öffentliche Investitionen zu tätigen. Zentral für den Klimaschutz ist der rasche Ausbau der Energie-Netze sowie der Infrastruktur für die klimaneutrale Mobilität. Batterieelektrische und Wasserstoff-betriebene Fahrzeuge sollen in Zukunft unsere Strassen befahren. Kaufen werden sie die Menschen nur dann, wenn man sie auch laden oder betanken kann – und zwar überall in Europa.

Notwendig sind auch Investitionen in die digitale Infrastruktur, die Digitalisierung der Verwaltung, Forschung und Bildung und des Gesundheitswesens. Die Corona-Pandemie hat vieles schon angestossen, aber auch schwerwiegende Defizite aufgezeigt, die es zu beheben gilt. Hier kann man den Ball direkt aufnehmen. Angesichts der umfangreichen Vorhaben gilt es, die Mittel aus den Konjunkturmassnahmen zielgerichtet einzusetzen und für eine rasche Umsetzung von Investitionsvorhaben zu sorgen. Geringe Personalkapazitäten in der kommunalen Verwaltung, aufwendige Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie Kapazitätsengpässe in der Bauwirtschaft stehen bisher einer schnellen Umsetzung meist entgegen. Diese Hürden sollten konsequent abgebaut werden. Die Einrichtung rechtlich eigenständiger Investitionsfördergesellschaften könnte mittelfristig dazu beitragen, Planungs- und Verwaltungshemmnisse zu überwinden.

Die intensiven Diskussionen um öffentliche Investitionen oder Förderung dürfen nicht darüber hinwegtäuschen: Privatwirtschaftliche Investitionen müssen die tragende Säule der Transformation sein. Wir brauchen den technologischen Fortschritt, das Engagement und die Innovationskraft der Unternehmen sowie den Wettbewerb um Europa zu Impulsgeberinnen für nachhaltiges Wachstum weltweit zu machen. In einer Welt, in der die grossen Industrienationen Mitte des Jahrhunderts klimaneutral sein wollen, ist langfristiger wirtschaftlicher Erfolg nur mit Geschäftsmodellen erreichbar, die auf dieses Ziel einzahlen. Daher drängt die Wirtschaft zunehmend auf Rahmenbedingungen, die zukunftsfähige Geschäftsmodelle für Investoren schon heute erkennbar und attraktiver machen als solche, die auf kurzfristige Renditen abzielen.

Das Geld muss an den richtigen Ort
Eine umfassende Reformagenda muss die CO2-Bepreisung stärken und zum Leitinstrument der Klimapolitik machen, konsequent Abgaben und Umlagen in der Strombepreisung reduzieren, direkte und indirekte Subventionen fossiler Energien beseitigen, das Finanzierungsökosystem neu ausrichten – und vor allem globale Allianzen im Klimaschutz voranbringen. Wir kommen im globalen Klimaschutz nicht voran, wenn wir in nationalen Dimensionen denken. Von einer verstärkten europäischen Kooperation im Zuge der Transformation profitieren alle Mitgliedstaaten und auch der europäische Zusammenhalt.

Alle europäischen Bemühungen um Klimaschutz müssen globale Zusammenhänge in den Blick nehmen – schon weil die EU-Mitgliedstaaten lediglich neun Prozent der globalen Emissionen verantworten, China 30 Prozent und die USA 15 Prozent. Hinzu kommt: In den Entwicklungs- und Schwellenländern wird der Energieverbrauch in Zukunft ansteigen. Schon früh muss daher Sorge dafür getragen werden, technologische Optionen für das klimaneutrale Wirtschaften zu entwickeln, sodass sie baldmöglichst weltweit zur Verfügung stehen. Eine zentrale Rolle im globalen Gefüge wird zudem schon zeitnah dem Hochlauf des Handels klimaneutraler Energieträger zukommen. Globale Energieabhängigkeiten waren schon immer Treiber geopolitischer Entwicklungen und werden es auch in Zukunft sein. Deutschland importiert heute 70 Prozent seines Primärenergiebedarfs in Form fossiler Energieträger. Eine Umstellung auf klimaneutrale Energieträger birgt Chancen. Anders als früher gibt zukünftig nicht die Geologie vor, von wem wir Öl und Gas kaufen. Vielmehr können wir emissionsarmen Wasserstoff aus vielen Ländern mit guten Bedingungen für erneuerbare Energien importieren, in Form von grünem Wasserstoff, der dort aus erneuerbaren Energien erzeugt und dann nach Europa transportiert wird.

Der Streifzug durch die vielen Facetten der Transformation im kommenden Jahrzehnt zeigt: Anspruchsvolle und herausfordernde Aufgaben stehen uns bevor, bei denen das Zusammenspiel von Kooperation und Wettbewerb im internationalen Kontext eine zentrale Rolle spielen muss. Der Wille zur Veränderung, Mut zum Risiko, aber auch ein gesunder Pragmatismus und Zusammenhalt sind gefragt in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Wichtige Impulsgeber der Transformation müssen die jungen Menschen sein, deren Bildung, Ausbildung und Austausch untereinander in der Corona-Krise gerade viel zu kurz kommen. Dafür ist – mal wieder – die mangelnde Weitsicht unseres Handelns verantwortlich und eine gesellschaftliche Debatte, die sich zu wenig an der Gestaltung unserer Zukunft orientiert. Das muss sich ändern.

Fussnote: Dieser Text ist auf der Onlineplattform der Heinrich-Böll-Stiftung erschienen.

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