volodymyr hryshchenko
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«Wenn Sie noch nie einen Handfisch gesehen haben, stellen Sie sich vor, Sie würden eine Kröte in bunte Farbe tauchen, ihr eine traurige Geschichte erzählen und sie zwingen, Handschuhe zu tragen, die zwei Nummern zu gross sind»: Mit dieser Beschreibung der Brachionichthyidae beweist das australische Handfish Conservation Project Humor. Aber eigentlich ist die Lage ernst.

 

Sara Huber

 

Das Dampfschiff Tasman, in Schottland gebaut, wurde im Oktober 1873 der Tasmanian Steam Navigation Company übergeben und übernahm fortan den Liniendienst zwischen der australischen Metropole Sydney und der tasmanischen Inselhauptstadt Hobart. Am frühen Morgen des 30. November 1883 aber lief die Fähre an der zerklüfteten Küste der Tasman-Halbinsel auf Grund und sank innerhalb kürzester Zeit – der Verlust von Menschenleben war glücklicherweise nicht zu beklagen. 140 Jahre später wollten Brad Turner, James Parkinson und Bob Van Der Velde zum Jahrestag des Unglücks die Überreste der SS Tasman in 70 Meter Wassertiefe besuchen, vergassen aber beinahe den Zweck ihres Tauchgangs, als ihnen ein einsamer Wächter des Wracks gegenüberstand: Als ersten Menschen in zwei Jahrzehnten war es den drei Tauchern vergönnt, einem der äusserst seltenen Rosa Handfische – Brachiopsilus dianthus – zu begegnen. Und der schien nicht sonderlich über den Besuch erfreut. Mit den weit nach unten gezogenen Mundwinkeln allerdings wirken Handfische für das menschliche Auge immer etwas übellaunig. Für Neville Barrett, Professor an der Universität von Tasmanien, ist die Sichtung trotzdem eine gute Nachricht und von grosser Bedeutung: «Sie gibt uns Hoffnung, dass die Rosa Handfische in tieferen und kühleren Gewässern Zuflucht vor der Erwärmung der Küstengewässer, die die Existenz vieler tasmanischer Meeresarten bedroht, gefunden haben.» Denn die Bestände der insgesamt 14 bekannten Arten aus der Handfisch-Familie sinken: Vom Gefleckten Handfisch soll es schätzungsweise noch 3000 Exemplare geben, vom Roten Handfisch gar nur noch 70, die Sichtung eines Ziebell-Handfischs wurde 2007 letztmals dokumentiert und den Glatthandfisch hat die Weltnaturschutzunion (IUCN) vor vier Jahren formell für ausgestorben erklärt – seit seiner ersten Beschreibung 1802 hat ihn niemand mehr gesehen. Die «Brachionichthyidae» – so der Familienname – leben endemisch an den Küsten des südöstlichen Australiens und Tasmaniens, der Lebensraum mancher Arten ist mittlerweile sogar auf einzelne Buchten oder Flussmündungen der Insel beschränkt. Zu schaffen macht den Handfischen neben dem Klimawandel auch die Umweltverschmutzung, eingeschleppte Räuber wie der Nordpazifische Seestern, der über seine Eier herfällt, die kommerzielle Fischerei und weitere Eingriffe des Menschen in ihr Habitat, wie der Bau von Bootsanlegestellen, Hafenanlagen oder anderen Infrastruktureinrichtungen in Küstennähe.  

 

Sympathieträger

Zusammen mit der Familie der Anglerfische bilden die Handfische die Ordnung der Armflosser. Wie ihre nächsten Verwandten leben sie am Boden und sind nur bedingt in der Lage zu schwimmen, denn sie besitzen keine Schwimmblase. Stattdessen spazieren sie über den Meeresgrund auf ihren zu den namensgebenden «Händen» umgestalteten Brust- und Bauchflossen, die also genau genommen als «Füsse» bezeichnet werden müssten. Handfische werden zwischen zwei und maximal 15 Zentimeter lang und ernähren sich von kleinen Krustentieren, Muscheln und Vielborstern – eine Klasse der Ringelwürmer. Wie bei den Anglerfischen hat sich der vorderste Hartstrahl der Rückenflosse zu einem sogenannten «Illicium» mit «Esca» entwickelt – im Gegensatz zur Verwandtschaft aber scheinen die Handfische diese «Angel» mit «Köder» nicht für den Fischfang zu benutzen. Alle Armflosser zeigen einen ausgeprägten Geschlechtsdimorphismus: Die weiblichen Tiere sind deutliche grösser als die Männchen. Ihre Gefühle füreinander entdecken sie im Frühling auf der Südhalbkugel – September und Oktober ist Paarungszeit und der Gefleckte Handfisch zeige ein «ziemlich interessantes Balzverhalten», berichtet Tim Fountain von der staatlichen australischen Forschungsagentur CSIRO: «Das Weibchen stolziert mit aufgestellten Flossen herum wie ein Popstarlett auf der Bühne, während ihr das Männchen unterwürfig hinterherwieselt.» Aber nachdem sie ihre bis zu 200 Eier an einer aufrecht stehenden Struktur befestigt habe – beispielsweise an Seegras oder einer Seescheide –, werde er zum grimmigen Beschützer: «Gemäss unserer Forschung teilen sich die Tiere die elterliche Fürsorge.» Diese Erkenntnis verdanken Fountain und sein Team der Beobachtung der beiden Handfische «Rose» und «Harley» in dem CISRO-Zuchtprogramm, in dessen Rahmen sich erstmals Brachionichthyidae in Gefangenschaft vermehrten. «Wie den meisten tasmanischen Biologen geht mir das Schicksal des Beutelwolfs nicht aus dem Kopf», erklärt Fountains Forscherkollege Tim Lynch – das letzte bekannte Exemplar des räuberischen Beuteltiers starb 1936 im Zoo der Inselhauptstadt: «Wir sollten deshalb alles in unserer Macht Stehende unternehmen, um den Handfischen ein solches Schicksal zu ersparen!» Ausserdem seien die Tiere sehr charismatisch und daher bestens in der Lage, eine Botschaft zu verbreiten, so der Naturwissenschaftler: «An ihrem Beispiel lässt sich hervorragend aufzeigen, wie umfangreich – und schädlich – unser Einfluss auf die Umwelt geworden ist.»

 

Auf gutem Weg

Im Fluss Derwent – dessen Ästuar beheimatet eines der beiden letzten bekannten Habitate des Gefleckten Handfisches, er beherbergt aber auch den Tiefseehafen von Hobart – bestehen diese Belastungen aus Einschwemmungen von Nährstoffen aus der Forst- und der Landwirtschaft im Oberlauf sowie aus extrem hohen, von grossen Industriebetrieben verursachten Schwermetallwerten im Unterlauf. Als sehr nützlich dagegen erwies sich, dass während fast zwei Jahrhunderten die Hinterlassenschaften von ausgelassenen Bootspartys in der Flussmündung auf dem Meeresgrund landeten: Nachdem die Langusten überfischt waren, vermehrten sich die Seeigel explosionsartig, die sich wiederum am Seegras gütlich taten, in dem die Handfische ihren Nachwuchs vor den Seesternen verstecken. 2017 entdeckte Lynch auf Feldforschung, dass sich die bedrohte Tierart angepasst hat und nun die Riffe aus leeren Bier- und Schnapsflaschen als Rückzugsort benutzt: «Wir klammern uns an jeden Strohhalm», sagt der Biologe über die Hoffnung, dass der Gefleckte Handfisch vor dem Aussterben bewahrt werden könnte. Verbessert haben sich auch die Chancen für den seltensten von allen, den Roten Handfisch. «Ein einziges Schadensereignis könnte die ganze Population auslöschen», warnt Adrian Merder von der Naturschutzorganisation Australian Marine Conservation Society, denn die seltene Art trifft man nur noch in einem kleinen Gebiet in der Frederik Henri-Bucht westlich der Tasman-Halbinsel. Umso erfreulicher ist es, dass es dem Institut für marine und antarktische Studien (IMAS) der Universität von Tasmanien gelungen ist, auch den Roten Handfisch in Gefangenschaft zur Paarung zu animieren. Dank einer Sondergenehmigung der Bundesregierung in Canberra konnten die Forscherinnen und Forscher der freien Wildbahn zwei erwachsene Tiere entnehmen. Im November des vergangenen Jahres dann verkündete der australische TV-Sender ABC den sensationellen Züchtungserfolg: 21 winzige Rote Handfische – Brachionichthyidae kennen kein Larvenstadium – waren geschlüpft und werden nun eingeschult. Denn bevor er wieder in die Wildnis entlassen wird, soll der Nachwuchs in einer Umgebung von stetig steigender Komplexität mit verschiedenen Sorten Seegras vertraut gemacht werden und künftige Mitbewohner in der Unterwasserwelt kennenlernen. «Wir freuen uns sehr über die Fortschritte des Zuchtprogramms für den Roten Handfisch», erklärt Jemina Stuart-Smith, Co-Leiterin der IMAS-Abteilung Ökologie und Biodiversität, im Interview mit dem öffentlich-rechtlichen Sender, «aber es gibt noch mehr zu tun. Beim Schutz und der Wiederherstellung der Lebensräume dieser einzigartigen Kreaturen sind wir noch lange nicht dort, wo wir sein müssten.»

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