volodymyr hryshchenko
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Die Krisenherde auf der Welt vermitteln den Eindruck, dass immer mehr Psychopathen entscheiden. Eine milde Form dieser Krankheit betrifft heute bis 15 Prozent der Menschen. Psychologie-Professor Dominik Schwarzinger hat darüber das Buch «Die Masken der Psychopathen» verfasst und erklärt im Interview die Gründe für die Psychopathie. 

Florencia Figueroa 

Psychopathen machen weniger als ein Prozent der Menschheit aus. Viel verbreiteter sind dagegen Personen, die an einer milden Form dieser antisozialen Persönlichkeitsstörung leiden (vgl. Kasten): «Etwa zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung», sagt Dominik Schwarzinger, Fachbereichsleiter für Psychologie an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Berlin. Jede achte bis zehnte Person weist sogenannte «subklinische» psychopathische Persönlichkeitszüge auf. Man begegnet ihnen im Familien- und Freundeskreis, im Beruf oder in der Freizeit, in der Politik – und auch im World Wide Web. Die Frage ist nur, ob man sie zu erkennen und sich vor ihnen zu schützen vermag. 

Zu diesem Zweck hat Dominik Schwarzinger zusammen mit seinem Kollegen Heinz Schuler das Buch «Die Masken der Psychopathen» herausgegeben, das im September 2022 erschienen ist. Darin wird dargestellt, wie man Psychopathen durchschaut und mit ihnen umgeht. 

 

Herr Schwarzinger, wenn derart viele Menschen mit psychopathischen Persönlichkeitszügen frei umherlaufen, müssen die anderen um das eigene Leben fürchten? 

Mitnichten. Schliesslich sind selbst von diesen echten klinischen Psychopathen, die rund ein Prozent der Gesellschaft ausmachen, die wenigsten geistesgestörte Massenmörder. Psychopathie kann man nicht direkt mit Gewalt und Mord gleichsetzen. Wirklich lebensgefährlich sind demnach auch von diesem einem Prozent nochmals deutlich weniger. 

 

Welche realistische Gefahr geht denn von den Personen aus, die an einer milden Form der Psychopathie leiden? 

Nun, den Psychopathen gemeinsam ist, dass es sich um Personen handelt, die nur auf ihre eigenen Vorteile bedacht sind. Es sind, vereinfacht gesagt, berechnende Menschen, die ihre Ziele ohne Rücksicht auf Verluste erreichen möchten. Sie empfinden weder Empathie noch Mitleid, haben keine Reue oder Skrupel und für ihre Taten übernehmen sie keine Verantwortung. Zudem sind sie äusserst manipulativ. Der Unterschied zwischen einem hochgradigen Psychopathen und einer Person, die lediglich psychopathische Persönlichkeitszüge hat, liegt in der Ausprägung der Psychopathie. Mit anderen Worten: Es ist die Schwere, die den Unterschied ausmacht. Eine Person mit psychopathischen Zügen lügt, betrügt und trickst andere Menschen zwar auch aus – weshalb es aufzupassen gilt –, jedoch nicht in einem solchen Masse wie ein hochgradiger Psychopath. 

 

Aber liegt es nicht in der Natur des Menschen, seine eigenen Ziele zu verfolgen, hin und wieder zu lügen oder andere zu manipulieren? Wo ist die Grenze zwischen normalem Verhalten und Psychopathie? 

Ja, Menschen sagen nicht immer die Wahrheit, sind manchmal hinterhältig und gemein oder gnadenlos. Das gehört zum Menschsein dazu. Wenn aber diese normalen menschlichen Verhaltensweisen in übersteigerter Form auftreten und keine Kontrollmechanismen wie Moral mehr funktionieren, dann nimmt das Ganze psychopathische Züge an. Das ist es ja genau: Psychopathen, egal welchen Grades, fallen dadurch negativ auf, dass sie viel extremer sind in diesen Belangen als andere. 

 

Für Laien ist es schwierig, diese Abgrenzung vorzunehmen. Ihr Buch soll hier Abhilfe schaffen? 

Genau. Das Buch erklärt, was Psychopathie ist, wie sich Menschen verhalten, die psychopathisch veranlagt sind, sprich wie man Anzeichen der Psychopathie erkennen kann. 

 

Besteht dabei nicht die Gefahr, dass jemand das Buch falsch deutet und dadurch irgendwelche Menschen aus seinem Umfeld vorverurteilt? 

Um es vorwegzunehmen: Unser Buch ist kein wissenschaftliches Fachbuch, sprich weder für die Psychologieausbildung noch für die Diagnostik geeignet. Zwar ist unser Buch wissenschaftlich recherchiert, auf dem neuesten Stand der Forschung, mit einem umfassenden Quellenverzeichnis ausgestattet; aber es ist ein Werk, das sich an die Allgemeinheit richtet, um sie über das Phänomen der Psychopathie aufzuklären. An mehreren Stellen im Buch weisen wir deshalb die Leserschaft darauf hin, bitte keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Ob jemand tatsächlich ein Psychopath ist oder nicht und welchen Grades, können letztlich nur Fachleute feststellen. 

 

Das Buch soll ja dabei helfen, kein Opfer zu werden. Wie erreicht man das? 

Also, ich würde jetzt nicht so weit gehen und behaupten, dass man durch das Buch automatisch geschützt ist. Man kann ja auf verschiedene Arten Opfer werden. In manchen Situationen kann man etwas dagegen tun, in manchen nicht. Gegen einen unerwarteten Überfall durch einen Psychopathen auf der Strasse zum Beispiel kann das Buch nichts ausrichten. Aber wenn man – sagen wir mal – auf der Arbeit merkt, dass der Chef einen ständig schikaniert, man von ihm womöglich ausgebeutet und manipuliert wird, kann das Buch einem verraten, ob sich hinter diesem Verhalten eine Person mit psychopathischen Persönlichkeitszügen versteckt. Und wenn dem so ist, zeigt das Buch Wege und Strategien auf, wie man sich dieser Person entziehen kann. Ob diese Person tatsächlich ein Psychopath ist oder nicht, sei dahingestellt. Es geht ja nicht darum, die Person zu denunzieren, sondern sich vor deren Gemeinheiten zu schützen. Und das Buch ist hierbei eine Hilfe. 

 

Wenn man sich davor schützen kann, Opfer zu werden, heisst das, dass, wer Opfer wird, quasi selbst schuld ist, weil er sich nicht gewehrt hat? 

Nein, auf keinen Fall. Die Schuld trägt immer der Täter. Das Problem ist, dass sich der Psychopath nicht ein bestimmtes Opfer aussucht, sondern seine Masche bei allen anwendet. Bei den einen klappt es, bei den anderen nicht. Und wenn es funktioniert, dann bei jenen, die nicht gewusst haben, wie man einem solchen Menschen gegenübertritt. Und hier ist das Buch hilfreich, weil es aufzeigt, wie man sich in solchen Fällen am besten verhält. 

 

Hilft das Buch auch dabei, sich selbst als Psychopath zu enttarnen, um sein Benehmen zu verbessern? 

Wie erwähnt: Unser Buch ist nicht dazu da, eine Diagnose zu erstellen. Doch sollte sich jemand in diesem Buch wiedererkennen, dann spricht nichts gegen eine kleine Selbstkorrektur – sofern man sein Verhalten ändern will. 

 

Würde sich eine Person mit psychopathischen Persönlichkeitszügen denn therapieren lassen? 

Die Frage ist doch, ob diese Menschen überhaupt wissen, dass sie eine Tendenz zur Psychopathie haben. Bestimmt nicht alle. Viele gehen einfach durchs Leben und finden sich gut, so wie sie sind. Für sie gibt es wohl keinen Grund, sich zu ändern. Was sie aber tun – und das gehört zum Krankheitsbild der Psychopathie dazu –, ist, ihre unangenehmen Seiten zu kaschieren. Die Opfer sollen ja nicht von Anfang an abgeschreckt werden. Es ist deshalb nicht ungewöhnlich, dass man Psychopathen einen gewissen Charme nachsagt. Nur so schaffen sie es, sich den Opfern zu nähern, bis sie dann zuschlagen können. Deshalb sollte man möglichst Abstand von solchen Menschen nehmen, weil sie sich – sobald es ihnen nützt – gegen einen wenden. 

 

Warum wird man denn überhaupt zu einem Psychopathen? 

Da spielen einige Faktoren hinein. Zum einen die Erziehung, zum anderen die Genetik, sprich wenn ein Elternteil psychopathisch veranlagt ist, dann das Kind mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit auch. Und wenn man das Kind nicht richtig sozialisiert, dann besteht die Gefahr, dass es erst recht verhaltensauffällig wird. Ebenfalls ein Faktor ist die Schwangerschaft. Bestimmte Lebensmittel wie Alkohol können einen Einfluss darauf haben. 

 

Heisst das, man kann ein mit psychopathischen Merkmalen belastetes Kind mit der richtigen Erziehung in eine positive Richtung lenken? 

Bis zu einem gewissen Punkt, ja. Der Grund ist: Eine psychopathische Tendenz kann man nicht einfach «wegzaubern». Aber man kann Einfluss darauf nehmen, wie ausgeprägt sie sein wird – obwohl das auch nicht immer hundertprozentig funktioniert. 

 

Was meinen Sie damit? 

Es gibt einfach Fälle, wo es nichts bringt. Auch nicht, wenn man diesen Kindern und Jugendlichen mit Therapien, Strafen oder anderen Massnahmen zu helfen versucht. 

 

Stellen diese Kinder also immer eine Gefahr für die Gesellschaft dar? 

Das würde ich so nicht unterschreiben. Man kann nicht wissen, wie sich diese Kinder entwickeln. Das Verhalten ist ja nicht prädisponiert von den Genen, was bedeutet: Niemand ist aufgrund der Anlagen automatisch ein schlechter Mensch oder automatisch eine Gefahr. Tendenziell haben diese Kinder jedoch eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, verhaltensauffällig zu werden. Doch wie ich am Anfang gesagt habe: Die wenigsten – auch vorbelastete – Menschen werden wirklich zu einem ausgemachten Psychopathen und damit zu einer Gefahr für die Gesellschaft. 

 

Worterklärung
Psychopathie ist keine offizielle Diagnose. Sie ist vielmehr eine schwere Form der Antisozialen Persönlichkeitsstörung, von der vor allem Männer betroffen sind. Es gibt eine Checkliste, mit er es möglich ist, Psychopathen zu ermitteln. Ausgearbeitet wurde diese Checkliste von Robert D. Hare, ein kanadischer Kriminalpsychologe, der zu den weltweit führenden Psychopathie-Experten gehört. Die Liste umfasst bis zu 20 Merkmale. Wenn man mehr als zwei Drittel dieser Punkte erfüllt, gilt man als klinischer Psychopath. Weit häufiger kommt es aber vor, dass eine Person ein paar dieser Merkmale aufweist; dann spricht man von einem Menschen mit subklinischen psychopathischen Persönlichkeitszügen. 

 

Buch: Heinz Schuler; Dominik Schwarzinger: Die Masken der Psychopathen. Wie man sie durchschaut und nicht zum Opfer wird, München: C.H. Beck Verlag, September 2022, 256 Seiten

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