Anne Challandes
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Mein achtsamer Blick:

Pascal Moser, Germanistikstudent an der Universität Zürich und Promotor einer neuen Studentenzeitung 

 

Die Aufgabe nachfolgender Generationen 

Die Polarisierung der Meinungen zum Schwangerschaftsabbruch in den Vereinigten Staaten ist beunruhigend. Sie legt erneut die Schwächen der amerikanischen Politik und Gesellschaft offen. Der emotional so engagierte Einsatz für das ungeborene Leben müsste auch zu der Frage führen, wie ernst der Schutz des geborenen Lebens genommen wird. Die Bilder getrennter Flüchtlingsfamilien mit weinenden Kleinkindern als Gefangene an der US-Grenze sind noch präsent. Kein Schwangerschaftsabbruch ist ein Sonntagsspaziergang, sondern ein belastender Prozess, der zum Selbstbestimmungsrecht einer Frau über ihren Körper gehört, vor allem nach einer Vergewaltigung.   

In der Schweiz wurde 2002 das Gesetz entsprechend angepasst. Es war ein grosser Schritt für die Frauenrechte in dem Land, wo legal eine Frau als letzte Hexe der Welt hingerichtet worden war. Die Schriftstellerin Eveline Hasler dokumentierte das Verbrechen in ihrem ersten historischen Roman «Anna Göldin» von 1982. Der Begriff Hexe war in Anna Göldins Akte 1782 wie in einer Stilübung durch Synonyme ersetzt worden. Die Rede war von Übeltäterin oder Unholdin. Die Erfahrung mit dem historischen Stoff war für die Autorin prägend, weil ihr Geburtsort sehr nahe an der Richtstätte liegt. Als Zehnjährige wollte sie mehr über diese Geschichte wissen, doch ihr Lehrer hatte gekniffen, er schämte sich, dass die letzte Hexe in Europa am Glarnerland hingerichtet wurde. Später, auf ihrer Suche im Landesarchiv, wies man sie ab. Doch ihr wurde dabei klar, dass es zahlreiche Frauen gab, die nach Göldin gefragt hatten. Schliesslich setzte sie sich durch und bekam Zugang zu Kopien der Gerichtsakten, die ein Richter in seinem Schrank versteckt hielt. Hatte er von einer späteren Generation mehr Gerechtigkeit erhofft?  

Heute leben wir zumindest in der Schweiz in grösserer Gerechtigkeit. Aber die Gerechtigkeit muss gleich wie die Demokratie gepflegt werden. Einmal errungen, bedeutet nicht, dass sie den nachfolgenden Generationen erhalten bleibt. Die Gerechtigkeit erfordert auch Engagement, wie es Eveline Hasler vorgemacht hat.  Immer wieder, im eigenen Umfeld. Das ist manchmal anstrengend. Aber eine Errungenschaft wird ja auch erst nach grösseren Anstrengungen erreicht. Sie zu verteidigen ist die Aufgabe der nachfolgenden Generationen. 

Pascal Moser, Germanistikstudent an der Universität Zürich und Promotor einer neuen Studentenzeitung 

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